Tranh (16-saitige Zitter)

 

Konzert mit traditioneller vietnamesischer Musik

 

T'rung (Bambus-Xylophon)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dorffest in Mung

 

Barcarolen-Gesang

beim Dorffest in Mung

 

Dorffest in Mung

Pho, Bâu und Pentatonik

Als Gastdozent in Hanoi

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Im Oktober 1997 war ich erstmals auf Einladung des Nationalen Konservatoriums in Hanoi. Ein weiterer Aufenthalt folgte nun im Januar 1999.

Gleich bei meiner ersten Ankunft in Hanoi bekam ich einen wohl typischen Eindruck von der quirligen Geschäftigkeit dieser Stadt: im Gewühle der Menschenmenge, die am Flughafen Ankommende erwartete, fand ich nicht gleich Nguyen Dai Dong, der mich dort in Empfang nehmen wollte; wir kannten uns da noch nicht. Mein suchender Blick lockte zwei Vietnamesen an, die mir in gebrochenem Englisch versicherten, sie würden mich an den richtigen Ort bringen. Meiner Frage, ob sie im Auftrag des Konservatoriums kämen, wichen sie mit einem „It’s all okay" aus. Sie nahmen meine Gepäck und unversehens saß ich in Ihrem Wagen. Daß dies nur ein beabsichtigtes Mißverständnis war, wurde mir schnell klar, aber da ich meine Hoteladresse hatte, ließ ich mich dorthin bringen und mußte nur noch mit Hilfe des Hotelpersonals den mächtig überzogenen Fahrpreis herunterhandeln. Eine knappe Stunde später traf auch Nguyen Dai Dong im Hotel ein und bei einem ersten Bier lachten wir gemeinsam über unser gegenseitiges Mißgeschick am Flughafen.

Wir machten einen kleinen Bummel durch die engen Gassen der Altstadt und Dong führte mich in eine der vielen kleinen Garküchen, wo es die beste Brühe (Pho) mit Rindfleisch gäbe, wie er mir glaubhaft versicherte. Sie war in der Tat ausgezeichnet und ich bekam damit einen ersten Vorgeschmack auf das, was meine beiden Aufenthalte in Hanoi neben der Arbeit am Konservatorium auf das Netteste mitprägte: eine landestypische kulinarische Verwöhnung. Noch jetzt, wenn ich an meine Reisen zurückdenke, stellen sich immer wieder schöne Erinnerungen an das nette und fröhliche Beisammensein mit meinen Kollegen bei oftmals aufwendigen Essen ein. Doch so verführerisch es auch wäre, nun ein Loblied auf die Vietnamesische Küche zu singen, soll hier doch mehr von den Dingen die Rede sein, die das eigentliche Ziel meiner beiden Reisen waren. Es war nämlich nicht nur die herzliche Gastfreundschaft, sondern ebenso die ganz erstaunliche Resonanz auf meine Vorlesungen und die Arbeit mit den Studenten am Konservatorium und die damit verknüpften menschlichen Kontakte und Gespräche, die meine Aufenthalte in Hanoi zu einem intensiven Erlebnis machten.

Schon das vorbereitende Gespräch mit der Leitungsgruppe des Konservatoriums zeigte mir, welche große Erwartungen man damals schon an meinen ersten Besuch knüpfte. Zwar waren im Vorfeld meines ersten Aufenthaltes keine ganz exakten Wünsche geäußert worden, aber ich hatte mich mit mehreren möglichen Optionen vorbereitet und so war aus dem mitgebrachten Arbeitsmaterial schnell ein Programm für meine Vorlesungsfolge für die nächsten Tage zusammengestellt. Zudem wurde für die letzten Tage eingeplant, daß ich auch einigen Ensembles Kammermusikunterricht geben sollte. Gewünscht wurde zudem, daß ich vor großem Plenum über das Musikleben in Deutschland (Ausbildungswege, Strukturen des Orchesterwesens, Konzertleben, Fördermaßnahmen etc.) berichte. Bei dieser Veranstaltung wurde in der anschließenden Diskussion sehr deutlich, wie aufrichtig man bemüht ist, offensichtlich bewährte Modelle in den Ausbildungswegen künstlerischer Fächer unter Berücksichtigung der eigenen Voraussetzungen zu übernehmen. Und so hat man ganz bewußt die internationalen Kontakte in den vergangenen Jahren ausgeweitet, seitdem dies durch die politische Öffnung Vietnams möglich wurde. Immer wieder sind Lehrkräfte (vornehmlich der Instrumentalfächer) aus verschiedenen Ländern als Gastdozenten für einige Zeit an der Hochschule tätig. Sicherlich ist das künstlerische Niveau nicht mit dem inzwischen sehr hohen Standard an europäischen Hochschulen zu vergleichen, dies war natürlich bei meinem Kammermusikunterricht in Hanoi deutlich zu spüren, und auch das zur Verfügung stehende Instrumentarium ist oftmals nur mittelmäßig, aber dennoch war ich überrascht von der schnellen Auffassungsgabe und auch dem Fleiß der Studenten. Ich erinnere mich z. B. an ein Klaviertrio, das an einem Abend ein Martinu-Trio mit mir arbeiten wollte, und diese erste Unterrichtsstunde mit Ihnen bestand zunächst  vornehmlich aus genauem Notenlesen, der Übung in rhythmischer Koordination und anderer elementarer Dinge kammermusikalischen Zusammenspiels. Gleich am nächsten Morgen hatten sie wieder einen Termin bei mir. Wie ausgewechselt war das Ensemble, offensichtlich hatten sie die ganze Nacht gearbeitet! Endlich konnte man in Ansätzen auch künstlerische Fragen der Interpretation erörtern, da rein technische Mängel dies nun nicht mehr verhinderten.     

Bei meiner Vorlesungsfolge habe ich versucht, sowohl einen allgemeinen Überblick über die Entwicklungen der Neuen Musik und deren Zusammenhänge zu bieten, als auch einen detaillierterer Einblick in spezifische harmonische wie formale Fragenstellungen zu geben. Natürlich war es nicht möglich, in der relativ kurzen Zeitspanne umfassend die Musik des 20. Jahrhunderts in all ihren Facetten zu besprechen und vorzustellen. So habe ich mich bei meinem ersten Besuch 1997 im Wesentlichen auf die Entwicklungen in der Bundesrepublik seit 1945 beschränkt, dabei aber auch immer auf die Bezugslinien zur musikalischen Tradition und auf die Einflüsse und Wechselwirkung mit anderen geistigen Strömungen verwiesen.

Neben einem Selbstportrait, in dem ich einige meiner Arbeiten der letzten zehn Jahre vorstellte, waren meine thematisch gebündelten Vorträge u. a.: „Komponieren heute in der Bundesrepublik - Beispiele postseriellen und postmodernen Denkens", „Komponieren mit wenigen Tönen - Vielfalt und/oder Einfalt?",  „Harmonik in der Musik des 20. Jahrhunderts - Modelle der Klangorganisation an Beispielen von Webern bis Rihm", „Das ästhetische und philosophische Weltbild bei B. A. Zimmermann - Analyse von „Stille und Umkehr” und „Photoptosis", „P. Boulez und sein Orchesterstück „Rituel” - wie entsteht eine musikalische Architektur?".

Bei meinen täglichen Vorlesungen im Januar diesen Jahres habe ich - so war es schon in der abschließenden Besprechung mit der Hochschulleitung im vergangenen Jahr als Wunsch geäußert worden - einige der wichtigsten Vertreter Neuer Musik aus Europa und Amerika in Einzelportraits vorgestellt. Neben einem allgemeineren Überblick über das Gesamtschaffen des betreffenden Komponisten, seine historischen Wurzeln und einer Einordnung in allgemeinere Entwicklungen und Tendenzen, habe ich beispielhaft an einzelnen ausgewählten Werken die typischen Merkmale des Personalstils in detaillierteren Analysen herausgearbeitet.

Für wie wichtig diese Vorlesungen eingeschätzt wurden, läßt sich auch daran erkennen, daß in diesem Jahr alle für eine spätere Nachbereitung aufgezeichnet wurden. Selbst Komponisten wie etwa Cage und Stockhausen sind in Vietnam noch nahezu unbekannt, die dort vorhandenen Musikgeschichtsbücher erwähnen sie allenfalls. Hier gibt es einen ungeheuren Nachholbedarf an Information, und wie ich in Gesprächen erfuhr, möchte man nun - auch unter Einbeziehung meiner Vorlesungen - diese Lücken im musikwissenschaftlichen Lehrangebot schließen. Die noch im Aufbau befindliche Bibliothek verfügt über nahezu kein einziges Standardwerk über Neue Musik. Es fehlt an Fachbüchern, Partituren und Tonträgern, und so habe ich bei beiden Besuchen all mein Arbeitsmaterial zur weiteren Nutzung dort gelassen.

Ich bin allerdings nicht nur nach Hanoi gereist, um dort Neue Musik aus Deutschland, Europa und Amerika vorzustellen und zu besprechen, ich wollte auch etwas erfahren über die Musikkultur Vietnams. Dazu bot sich mehrfach Gelegenheit. Gleich zu Beginn meines ersten Aufenthaltes bekam ich im Konservatorium ein Konzert mit traditioneller vietnamesischer Musik geboten, die dort im Hause in einer eigenen Abteilung unterrichtet wird. Nicht weniger beeindruckend war der Besuch im Wasserpuppen-Theater: wieder konnte ich mich von den bezaubernden Klängen des einsaitigen Instrumentes „Bâu" oder der urtümlichen Kraft der Trommelklänge gefangen nehmen lassen, die hier ein ganz einmaliges und sehr witzig - poetisches Spektakel begleiteten, das schon viele hundert Jahre von Akteuren ausgeführt wird, die bauchtief im Wasser stehend an unsichtbaren Stäben und Zugfäden Puppen über die Wasserfläche führen.

Den nachhaltigsten und bewegensten Eindruck, was die alte Kultur Vietnams angeht, hat allerdings für mich der Wochenendausflug in das knapp 200 Kilometer von Hanoi entfernte abgelegene Dorf Mung (Conson) hinterlassen. Schon die Reise dorthin war ein Erlebnis wegen der beeindruckenden Landschaft. Mit meinen Kollegen vom Konservatorium hatten wir abends in Thanh Hoa Quartier bezogen, um am nächsten Morgen um 8 Uhr in Mung der Zeremonie für einen Dorfheiligen beizuwohnen, ein noch ganz unverfälschtes Ritual, das mit Volksfeststimmung von den Dorfbewohnern, die alle Reisbauern sind, ausgerichtet wird. Hier bekam ich eine Musik zu hören, deren magische Kraft von der Würde und dem Ernst der Laienspieler ausgeht, die eine alte Tradition pflegen, die auch in Vietnam droht von den Schattenseiten weltumspannender Globalisierung in allen Bereichen des Lebens langsam verdrängt zu werden. Die Gesichter der alten Männer bleiben mir unvergeßlich wie der Barcarolen-Gesang der Frauen in einem aus Bambus und Papier gebastelten Boot.

Auch durch diese Eindrücke bestärkt habe ich angeregt, Neue Musik für diese Instrumente zu schreiben, sie mit ihrer ganz unverwechselbaren und eigenen Klangwelt in kompositorisches Denken einzubeziehen. Hierzu bot sich nun beim diesjährigen Aufenthalt ganz konkret die Möglichkeit, denn diesmal habe ich neben den Vorlesungen zusätzlich mit einem kleinen Kreis von Kompositionsstudenten und angehenden Musikwissenschaftlern gearbeitet. Erfreut konnte ich feststellen, daß meine Anregung vom vergangenen Jahr nicht vergessen war: mir wurden ein paar schon fertige Stücke vorgelegt, die die traditionellen Instrumente mit einbezogen. Wir haben sie im Gruppenunterricht besprochen, es wurde noch überarbeitet und es entstanden in den zwei Wochen sogar noch ganz neue Stücke. Ich selbst habe, nachdem ich mit einigen Studenten der Abteilung für traditionelle Instrumente deren Möglichkeiten studieren und probieren konnte, ebenfalls eine kleine Suite („Vier Jahreszeiten”) für Bâu und Tranh komponiert. Ich war erstaunt, mit welcher Freude und mit welchem Einsatz und künstlerischem Können die jungen Musiker diese für sie zunächst ungewöhnliche Musik für ihre Instrumente in kürzester Zeit einstudierten Am letzten Tag wurden alle Stücke in einem kleinen Konzert vorgestellt. Natürlich waren es nicht alles Meisterwerke, aber dennoch: in einem Fall hatte ich das Gefühl, da ist doch etwas ganz Neues für diese Instrumente entstanden, nicht gegen sie, sondern ganz aus dem Geist der Instrumente heraus gedacht und gefühlt.

Die während meines Aufenthaltes in Hanoi geführten Gespräche und Begegnungen mit den älteren und jüngeren Komponistenkollegen haben mir gezeigt, daß die Verwurzelung in die eigene Kultur und Tradition trotz spürbarer und hörbarer Einflüsse von außerhalb größtenteils immer noch von großer Bedeutung ist. So findet man in ihren Partituren pentatonisches Denken und Anlehnungen sowie Zitate von Volksgesängen aus unterschiedlichen Regionen des Landes. Da die mittlere und ältere Generation meist in Russland studiert hat, ist es nicht verwunderlich, daß immer wieder auch diese „Schule" in der Orchesterbehandlung durchschimmert. Am Konservatorium hatte ich Gelegenheit, ein paar kompositorische Arbeiten von Studenten und Dozenten zu hören. Auch beim Treffen im Verband der Musikschaffenden stand neben dem allgemeineren Gedankenaustausch das Hören einiger Musikbeispiele im Mittelpunkt. Auch hier zeigte sich, daß die stilistische Vielfalt groß ist, von konventioneller Ballettmusik bis hin zur elektronischen Studie.

Was aber immer wieder in den Gesprächen zum Ausdruck kam, war, daß man durch die politischen Konstellationen bedingt ein Defizit an Information über Komponisten aus Westeuropa und Amerika verspürt.  Auch aus diesem Grund war man sehr dankbar, daß ich durch meinen Unterricht am Konservatorium so zumindest ein wenig diese Informationslücke schließen konnte.

Beeindruckt hat mich bei beiden Aufenthalten die bedingungslose Neugierde und Aufgeschlossenheit der Studenten, Aspiranten und Professoren. Das Arbeitsklima war äußerst intensiv und entspannt zugleich, aber trotz des enormen Arbeitspensums blieb dennoch Zeit für viele private Kontakte. Es sind Freundschaften entstanden, und nicht nur von vietnamesischer Seite hofft man, daß ich für eine erneute Lehrtätigkeit nach Hanoi zurückkehre: auch ich würde mich freuen, die neu gewonnenen Freunde und Kollegen, wie etwa Do Hong Quan, Pham Minh Khang (beides Kollegen im Fach Komposition), Tran Trong Hung (ebenfalls Komponist und Direktor des erst kürzlich wieder eröffneten Opernhauses, an dem gerade mit deutscher Unterstützung Webers „Freischütz” aufgeführt wurde) und Ngyen Dai Dong (meinem stets hilfreichen und kompetenten Übersetzter bei den Vorlesungen), wiederzusehen. Stellvertretend für alle, die zu meinem Wohlbefinden am Konservatorium und in Hanoi beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle danken der Direktorin des Hauses, Frau Prof. Tran Thu Ha, und dem ehemaligen Leiter und Vorsitzenden des Verbandes der Musikschaffenden, Herrn Prof. Nguyen Trong Bang, auf deren Einladung hin meine Besuche in Hanoi zustande gekommen waren. Nicht unerwähnt bleiben darf, daß nur durch die finanzielle Unterstützung des Deutschen Musikrates die Realisierung möglich wurde.

                                                                                                                                

© 1999 Michael Denhoff

 

 

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