zurück

Kirche, Kunst und Musik heute

Gedanken zum Verhältnis von Liturgie und (zeitgenössischer) Kunst

 

Die tiefsten Wurzeln aller Kunst und aller Religionen sind die gleichen:

Gottesglaube und Kunst suchen das ungeheuerliche Geheimnis unserer menschlichen Existenz zu ergründen, zu begreifen und zu benennen. Im Glauben an etwas nicht Faßbares, übermenschlich Großes, und indem der Mensch sich selbst schöpferisch artikuliert, vergewissert er sich seiner Gegenwart im Universum allen Seins, begreift er sich als Teil einer kosmischen Schöpfung.

Mit seinem Lebensmotto „Alle Kunst ist Suche nach Gott“ benannte der große russische Maler Alexej von Jawlensky sehr eindringlich diese gemeinsame Wurzel.

 

Der Ursprung der Kultur im Kult

So wie eigentlich alle Kulturen ihren Ursprung im Kultischen haben, ist die abendländische Kunst von ihren Anfängen her untrennbar mit der Liturgie der Kirche verbunden. Sakrales Erleben und Denken hat die größten Künstler zu allen Zeiten inspiriert und Werke hervorgebracht, die ihrerseits auf das geistige Erfahren des Göttlichen zurückwirkten, weil die Künstler sich nur als dienendes Sprachrohr Gottes verstanden.

Erst als die Musik und auch die darstellende und bildnerische Kunst sich als autonome Disziplinen entdeckten, begann eine allmähliche Trennung von Kirche und Kunst.

Zu Beginn der Entwicklung war der Gregorianische Gesang, der den biblischen Worten ein klingendes Gewand verlieh, noch ganz an den Kircheraum als Ort gebunden und dies bis hin zur frühen Mehrstimmigkeit ohne affekthafte Ausdeutung der vertonten Worte zur gesungenen Sprache, dabei sich selbst zurücknehmend. Aber im Barock, z. B. in den Kantaten Johann Sebastian Bachs, hat die musikalische Sprache sich schon soweit emanzipiert, daß sie auf einer eigenen metaphorischen Ebene Gestalten und auf sich selbst bezogene rhetorische Sprachmodelle nutzt, die es erlaubten, ein und dieselbe Musik sowohl im sakralen wie auch im weltlichen Kontext zu verwenden.

Der Weg zur absoluten Musik, über Haydn, Beethoven, Brahms bis hin zu Bruckner und Mahler, war vorgezeichnet, einer Musik, die das Innere des Menschen, seine spirituellen und emotionalen Erfahrungen aus individueller Sicht mit einer ganz eigenen Klangsprache formuliert und ausdrückt.

Und selbst Werke mit explizit geistlich-religiösem Anspruch, wie Beethovens Missa solemnis oder das Deutsche Requiem von Brahms oder die Missa da requiem von Verdi, sprengten schon allein wegen ihrer zeitlichen Ausdehnung die Einbindung in die Liturgie und damit in den Kirchenraum.

 

Komponisten wie Wagner und in jüngster Zeit auch Stockhausen schufen in ihren zum Gesamtkunstwerk sich erweiternden Ansätzen etwas, das man – auch wegen ihrer teilweise archaischen Symbolik und den ritualisierten Vorgaben – als Privatreligion bezeichnen möchte; entsprechend geraten Aufführungen ihrer Werke zu einer Art verweltlichter „Liturgie“.

Hier ist die christliche Symbolik zwar säkularisiert, zeugt aber die künstlerische Gestalt doch noch von ihrer Herkunft, daß nämlich eigentlich fast alle abendländische Musik bis zum Beginn der Moderne ihre Formen dort gefunden hatte.

 

Erstarrte Liturgie

Heute scheint die Kirche gänzlich den Kontakt zu den Künstlern verloren zu haben.

Die Liturgie erstarrt in den ritualisierten Gepflogenheiten einer Kirchenmusik, die das Vergangene konserviert und nur an wenigen Orten den Mut hat und die Offenheit wagt, sich mit aktuellen künstlerischen Positionen auseinanderzusetzen.

 

Es ist der Fluch aller Rituale, daß sie mit der Zeit zur Gewohnheit verkommen und – wenn nicht hinterfragt – ihren eigentlichen Sinn und damit ihr Bedeutung verlieren. So mag mancher Kirchgänger sich fragen, warum an diesem Ort ein Liedgut über Jahrhunderte weiterlebt, das uns auch in seiner sprachlichen Gestalt eigentlich fremd geworden sein müßte. Die Einbindung des sogenannten „Neuen geistlichen Liedes“ (teilweise auch in das Gesangsbuch Gotteslob) scheint dem Rechnung zu tragen. Ja, auch die Popmusik hat mittlerweile Einzug in die Liturgie gehalten im vermeintlichen Kurzschluß, damit zeitgemäß zu sein und so die sich von der Kirche abwendende Jugend vielleicht wieder zu erreichen.

 

Diese Versuche der „Anbiederung“ an den vermuteten Zeitgeschmack sind aber der falsche Weg, denn was mit diesen „Neuerungen“ in den Kirchenraum gekommen ist, darf man mit Fug und Recht als Gebrauchsmusik im negativen Sinne bezeichnen, genau so, wie Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI es schon 1974 in seiner Schrift „Zur theologischen Grundlegung der Kirchenmusik“ formulierte: „Eine Kirche, die nur noch ‚Gebrauchsmusik’ macht, verfällt dem Unbrauchbaren und wird selbst unbrauchbar“.

Ich will hier gar nicht eingehen auf die oftmals erschreckend nichts sagenden Texte in manchem „Neuen geistlichen Lied“, das dann zudem meist auch noch mit einer derart dürftigen und humpelnden, lediglich vermeintlich „swingenden“ Melodie daherkommt, daß einem der Glaube abhanden kommen könnte ob all der Belang- und Bezugslosigkeit zu dem, was eigentlich liturgische Praxis sein müßte und sollte: die Vermittlung der Ungeheuerlichkeit des Evangeliums.

Eine Gebrauchsmusik dieser Art kann die sinnliche Wahrnehmung der göttlichen Botschaft nicht befördern sondern nur zerstören.

 

Heute, wo angesichts der Verunsicherung durch die weltweite Globalisierung und nun ganz aktuell durch Finanz- und Wirtschaftskrise und drohende Klimakatastrophe die Menschen zu begreifen beginnen, daß eine im Wesentlichen auf materielle Werte orientierte Gesellschaft sich selbst zugrunde richtet, könnte die Kirche einen Ort der Orientierung und Neubesinnung bieten. Nicht ohne Grund schließen selbsterklärte Heilsbringer und esoterische Zirkel die Lücke, die von der offiziellen Kirche nicht besetzt wird, weil sie nicht in der Lage ist, in überzeugender Art und Weise auf das wieder wachsende Bedürfnis nach spiritueller Erfahrung und Lebensgestaltung einzugehen.

Auch die Kunst, die stets die Befindlichkeiten ihrer Zeit reflektiert und widerspiegelt, ist an einem Punkt angekommen, wo die totale Freiheit ihren ästhetischen Zerfall bedeuten könnte.

 

Eine geistliche Musik alten Zuschnitts kann es heute nicht mehr geben, aber viele Werke der letzten 50 Jahre tragen in sich einen Tonfall, der zwar nicht ausdrücklich geistlich ist, dafür aber geistig dem nahesteht, was auch liturgische Praxis ist, der Meditation.

 

Kunst: ein Weg aus der Erstarrung

Eine so enge Durchdringung von Kunst und Christentum, wie es über lange Zeit selbstverständlich war, kann es wohl auch nicht mehr geben. Aber ich wünschte mir, die Amtskirche würde wieder vermehrt das Gespräch mit den Künstlern suchen, sie nicht ignorieren oder gar verteufeln, sondern ihre Fragestellungen, ihre Sicht, ihre Ängste und ihre Visionen einbeziehen in einen Dialog, der die Grenzziehungen der jüngeren Vergangenheit überwindet. Denn was den Künstlern „auf der Seele brennt“ ist in nur größerer Deutlichkeit das, was alle Menschen bewegt: die Frage nach einer Sinngebung des Lebens.

Es geht nicht darum, einen Zufluchtsort zu schaffen, sondern vielmehr darum, die Liturgie aus ihrer Erstarrung zu lösen, neue Lösungen eines kirchlichen Selbstverständnisses zu finden, das heutiges Denken und Empfinden mit den biblischen Botschaften nicht nur versöhnt sondern vereint, indem es die Spannung von Vergangenheit und offener Zukunft zuläßt und aushält.

 

Praktiziert wurde dies bereits, allerdings nicht immer mit Billigung der Kirchenoberen,

z. B. in der „Kunststation St. Peter“ in Köln, wo mit Pater Friedhelm Mennekes ein kunstverständiger und -begeisterter Kirchenmann den sakralen Kirchenraum öffnete und mit aktueller Kunst und Musik die Irritation und das Nachdenken in seiner Gemeinde auslöste, die ein lebendiges Erfahren des Transzendenten „zwischen Freiheit und Bindung“ *) ermöglichen.

 

 

Michael Denhoff, Bonn im Dezember 2008

 

 

 

 

 

*) so der Titel eines jüngst beim Wienand Verlag erschienenen Buches, das Gespräche von

    Brigitta Lentz mit Friedhelm Mennekes über Kirche und Kunst veröffentlichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michael Denhoff, Komponist, Cellist, Dirigent und Pädagoge, geboren 1955 in Ahaus, lebt heute in Bonn.

In jüngerer Zeit schrieb er u. a. In unum Deum op. 93, ein Credo für Sopran, Bariton, Chor, Orgel und kleines Orchester, das auch zeitgenössische Texte einbindet (Uraufführung beim 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003; siehe: Musica Sacra, Heft Juli/August 2003) und ein Magnificat op. 98 für gemischten Chor mit zwei Soloquartetten, Saxophonquartett, vier Schlagzeuger und Orgel (Auftrag zum Bistumsfest Münster, UA 2006). In beiden Werken wird auch die Gemeinde singend einbezogen.

Weitere Informationen unter www.denhoff.de

 

zurück