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  "Ich tue, was ich tue, in
  meiner eigenen kleinen Nische. 
  Es ist eine begrenzte Ecke, aber
  ich denke, ich habe sie gut erforscht." 
  (Conlon Nancarrow) 
    
    
    
  
  I   (Prolog)
    
  Als ich Mitte der 80er
  Jahre die Musik von Conlon Nancarrow kennenlernte, ist es mir ergangen wie
  vielen anderen meiner Komponisten-Kollegen: ich war überwältigt von den
  schier unglaublichen Klangtexturen der „Studies" für das Player-Piano,
  die auf ungeheuer faszinierende Art und Weise die scheinbar unbegrenzten
  Möglichkeiten metrischer Komplexitäten ausloten und die dafür ein Instrument
  nutzen, das seine eigentliche Blütezeit längst hinter sich hatte. 
  Als reproduzierendes
  Instrument und Musikmaschine ein Vorläufer von Radio und Schallplatte kannte
  ich das selbstspielende Klavier nur aus dem Museum und wußte von seinem
  Einsatz im legendären Skandalstück der 20er Jahre, dem „Ballet
  mécanique" von George Antheil. Wie aber hier die genuinen Möglichkeiten
  dieses Instrumentes nicht für die Reproduktion einer Interpretation (wofür
  das Pianola - wie das selbstspielende Klavier auch genannt wurde - ja
  ursprünglich gedacht war), sondern produktiv zur Verwirklichung allein
  kompositorischer Visionen eingesetzt wurde, das überraschte mich aufs
  Eindringlichste und es ließ die Musikwelt aufhorchen; ein Komponist, der
  zuvor nur in einem kleinen Insider-Kreis bekannt war, rückte damals
  nachhaltig in das Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit. 
  Das Spektakuläre an den „Studies" ist ihr schier
  unerschöpflicher Reichtum in der Erkundung polyphoner Zeitabläufe, der
  Überlagerung unterschiedlicher Taktarten, der Gleichzeitigkeit verschiedener
  Tempi, zahllose Formen komplexer Rhythmik. All diese Aspekte und damit die
  ‚übermenschlichen’ Fähigkeiten des Instrumentes werden von Nancarrow bis ins
  Detail untersucht. Daß das klingende Ergebnis aber alles andere als nach
  trockener Gehirnakrobatik oder nach Papiermusik klingt, sondern daß analog
  zum Reichtum rhythmischer und zeitlicher Organisation der musikalischen
  Texturen ein ebenso großer Reichtum emotionaler Facetten gegeben ist, das
  zeichnet das Lebenswerk aus, das Nancarrow mit seinen gut 50 „Studies"
  der Nachwelt hinterlassen hat. 
  Sicherlich sind es vor
  allem die polyphonen Aspekte dieser Musik, die aufregend neu sind, im
  wahrsten Sinne des Wortes ‚unerhört’. Es war - so glaube ich - György Ligeti,
  der erstmals die „Studies" von Nancarrow als „eine Art wohltemperiertes
  Klavier des 20. Jahrhunderts" wertete, eine Einschätzung, die
  mittlerweile viele teilen! In diesem Vergleich zu Bachs großem Klavierwerk spiegelt
  sich vornehmlich die Erkenntnis, daß Nancarrow ähnlich umfassend und geradezu
  exemplarisch auf ein Instrument beschränkt ein einmaliges und
  unvergleichliches Universum polyphonen Denkens entworfen hat. 
  So behandeln auch die
  ersten Analytiker der „Studies", bei denen wohl an erster Stelle der
  amerikanische Komponist James Tenney [1] genannt werden muß, im Wesentlichen die diversen
  polyphonen Strategien Nancarrows, und Tenney stellt zu Recht fest, daß schon in
  der Study No.1 „viele der für Nancarrows Musik charakteristischen Prozesse:
  das Neben- und Übereinander verschiedener Metren und Tempi" [2]
  zu finden sind. 
  Auch mein persönliches
  Ohrenmerk richtete sich naturgemäß zunächst nur auf dieses eben
  ‚ohrenfällige’ Phänomen. Und als ich 1999/2000 dem hartnäckigen Drängen von
  Jürgen Hocker [3], der in den Konzerten der Kölner Triennale 2000
  ganz neue Stücke für Player-Piano [4] neben Nancarrows Musik präsentieren wollte,
  nachgab und selbst erstmals das Player-Piano kompositorisch nutzte, spielten
  dabei für mich zwar auch kontrapunktische Aspekte des zeitlichen Verlaufes
  eine Rolle - der auf Bach verweisende Titel „Inventionen" deutet es an
  -, aber im Zentrum meines Interesses standen harmonische Fragen (jede der
  drei „Inventionen" hat ein eigenes in sich geschlossenes harmonisches
  Gesicht [5]). Nur durch diese Gewichtung war es mir gelungen,
  meine Bedenken zu überwinden, nach Nancarrow selber einmal das
  selbstspielende Klavier kompositorisch einzusetzen, schien mir doch das
  Universum seiner „Studies" nahezu alle Möglichkeiten durchmessen zu
  haben. 
  Daß aber neben der
  ungemein ausgefeilten Organisation der zeitlichen Abläufe auch die
  Organisation der Töne bei Nancarrow nicht allein intuitiv gelöst ist, sondern
  oftmals in hohem Maße strukturiert ist und damit jede einzelne „Study“ ihre
  ganz eigene harmonische Physiognomie hat, das bemerkte ich erst später beim
  genaueren Studium der Noten. 
  Bei der eingehenderen
  Analyse einiger „Studies" (es ist mir ein äußerst anregender
  Zeitvertreib und intellektueller Lustgewinn geworden) habe ich kürzlich Entdeckungen
  gemacht, die in den mir bisher zugänglichen Schriften über Nancarrow
  weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Von einigen dieser Entdeckungen soll
  nun im Folgenden die Rede sein. Ich werde zudem ein paar Seitenblicke auf
  György Ligeti werfen, in dessen Klavieretüden deutliche, auch von ihm selbst
  eingestandene Spuren [6] von Nancarrows Musik zu finden sind. 
    
  II   (Exposition)
    
  Ende der vierziger Jahre
  begann die fast ausschließliche Arbeit Nancarrows für das Selbstspielklavier
  mit der eben schon erwähnten „Study No. 1“. Es war nicht allein der
  ‚objektive’ Klangcharakter des mechanischen Klaviers, der Nancarrow angezogen
  haben mag, sondern es war wohl vielmehr die leidvolle Erfahrung bei den
  Aufführungen seiner früheren rein instrumentalen Werke, die wegen ihrer
  rhythmischen Schwierigkeiten die ausführenden Musiker offensichtlich
  schlichtweg überforderten, so daß ein „Septett“, das 1949, kurz vor
  Nancarrows Übersiedlung nach Mexico, in New York gespielt wurde, trotz der
  Beteiligung von Spitzen-Interpreten in einem „Desaster“, wie er es selber
  empfand, endete. 
  In den ersten „Studies“
  mit ihren Anklängen an Jazz, Blues, Ragtime und spanisches Kolorit vernimmt
  man noch sehr deutlich die musikalische Herkunft Nancarrows, der als junger
  Mann Jazz-Trompete spielte. Zwar werden beispielsweise in der schon fast
  legendären Boogie-Woogie-Suite der „Studies No. 3a – 3e“ die Jazz-Modelle in
  mehreren Schichten und metrisch unabhängig bis in aberwitzige Tempi getürmt,
  so daß der Eindruck eines vieltonalen „Turbo-Boogie-Woogies“ entsteht, jede
  Schicht ist für sich genommen aber in fast herkömmlicher und vertrauter
  Jazz-Harmonik und -Gestik gehalten. Bemerkenswert an der formalen
  Gesamtanlage der fünf Sätze ist ihre bogenförmige tonale Zentrierung: sie
  stehen in den Tonarten C, F, C, G, C und erinnern somit an eine Kadenz:
  Tonika – Subdominante – Tonika – Dominante – Tonika, die gleichzeitig das
  sich ständig wiederholende funktionale Gerüst des ostinaten
  Boogie-Woogie-Basses sowohl des eröffnenden ersten als auch des
  abschließenden fünften Satzes der „Studies No. 3“ ist. Die harmonische
  Kleinform wird also auf die Großform übertragen. 
  Fast alle der frühen
  „Studies“ von Nancarrow kennzeichnet eine zwar freitonale, aber dennoch an
  ‚klassischem’ Dreiklangs-Denken orientierte harmonische Sprache. Die
  Linienführung ist oftmals modal gehalten, und Dreiklänge – meist in enger
  Lage – werden entweder wie eine Mixtur behandelt oder dienen der akustischen
  Verstärkung von metrischen Schwerpunkten, sind also ebenfalls eher als
  Farbwert, denn funktional gedacht. Typisches Merkmal der frühen „Studies“ ist
  zudem die häufige Verwendung von Ostinati, ein kompositorisches Stilmittel,
  das nach dem Ende der spätromantischen Tonalität in den 20er und 30er Jahren
  nicht nur im Jazz, sondern auch bei Strawinsky, Hindemith und Bartók in
  diversen Gestalten wieder auftauchte. 
  Eine verblüffende
  Ähnlichkeit zu dieser Art Textur bei Nancarrow (ostinater Baß mit Allusionen
  tonaler Funktionalität und darüberliegenden freien, jazz-ähnlichen
  Figurationen) ist erstmals – wie ich finde – in Ligetis „Hungarian Rock“ für
  Cembalo aus dem Jahre 1978 zu erkennen, hier natürlich trotz metrischen
  Komplexitäten beschränkt auf das von Menschenhand noch Realisierbare. Zu
  diesem Zeitpunkt (1978) wird Ligeti die Musik Nancarrows noch nicht gekannt
  haben. Umso erstaunlicher ist diese Verwandtschaft, die aber natürlich die
  spätere Begeisterung Ligetis für die „Studies“ erklärt.  
  Eine sehr eigenständige
  und dennoch an Bartók und damit an die eigene geographischen Herkunft sich
  anlehnende Art Ostinato finden wir auch im zweiten Satz des Horntrios von
  Ligeti, jenem Stück, mit dem er die Musikwelt 1982 überraschte, war mit
  diesem Stück doch der entscheidende Schritt weg von der für Ligeti zuvor so
  typischen, clusterhaften Klangflächen-Technik geschehen. Eine Harmonik, die –
  ähnlich wie bei Nancarrow – wieder eine Mischform aus Diatonik und Chromatik
  ist, und eine elastische Poly-Rhythmik, die wieder metrische Schwerpunkte
  fühlen läßt und nicht mehr in vielfacher Schichtung einen metrischen
  ‚Grauwert’ erzeugt, das sollte für Ligetis Klangsprache fortan und bis heute
  prägend werden. 
  Lassen Sie mich, bevor ich
  zu Nancarrow selbst zurückkehre, nun zunächst an einer der Klavieretüden
  Ligetis beispielhaft die Nähe zu den schon angesprochenen Techniken
  Nancarrows im Umgang mit Harmonik und den bei ihm latent gegenwärtigen
  „verdeckten Spuren tonalen Denkens“, wie ich es nennen möchte, aufzeigen. 
    
  III  
  (Variation/Double)
    
  Um es besonders plastisch
  werden zu lassen, möchte ich mich besagter Klavieretüde auf einem kleinen
  Umweg nähern. Hören Sie zunächst eine Folge von Akkordverbindungen: 
    
  
    
  Dies waren vier Phrasen
  von jeweils vier Dur-Dreiklängen, die meist in einem dominantischen oder
  mediantischen Verhältnis zueinander stehen; es folgten vier
  Akkordverbindungen von Moll-Dreiklängen, wobei die letzte Folge nicht mehr
  aus vier, sondern aus sechs Dreiklängen bestand. -  Das klang nach einem
  historisch schwer einortbaren Choralsatz, aber er hatte eine klare Perioden-,
  bzw. Phrasen-Bildung. 
  Nun das Gleiche noch
  einmal, allerdings ohne Tonverdopplungen. Durch geänderte Lagenverteilung
  fällt der Grundton des jeweiligen Dreiklangs zudem nur noch selten in den
  Baß; und ich spiele das Ganze metrisch nicht mehr in gleichmäßig schreitendem
  Tempo. Aber wohl bemerkt: es handelt sich um die gleiche Dreiklangsfolge. 
    
   
    
  Kommt Ihnen das schon bekannter
  vor? – Es fehlt in der Tat nur noch ganz wenig, und schon sind wir bei
  Ligetis Étude Nr. 4 „Fanfares“ angekommen. 
  Wenn wir das Ostinato des
  eben erwähnten zweiten Satzes des Horntrios nehmen, welches dort im Rhythmus
  3 + 3 + 2 Achteln erscheint, und es lediglich in der Setzung der Schwerpunkte
  zu 3 + 2 + 3 Achteln ändern und unter die eben gehörten Dreiklangsfolgen
  legen, dabei die Notation teilweise enharmonisch verwechseln, so haben wir
  exakt den Beginn der Étude Nr. 4: 
    
              Klangbeispiel:
  Ligeti, Ètude 4
    
  Nun geht das Alles
  natürlich in einem bedeutend schnellerem Tempo, als ich es Ihnen soeben
  vorführte. Es ist die rasante Geschwindigkeit, die das Ohr von dieser
  harmonischen Gegebenheit ablenkt. Aber es ist eine sehr ähnliche Art der
  Nutzung von (in diesem Fall) zunächst reinen Dreiklängen auf rhythmischen
  Schwerpunkten, wie sie bei Nancarrow zu beobachten ist. Wie in einem schnell
  sich drehenden Prisma springen diese reinen Dreiklänge bizarr hin und her und
  addieren sich so zu einer Allgegenwärtigkeit verschiedener Tonalitäten. Es
  ist ein äußerst raffinierter Kunstkniff, mit dem Ligeti hier geradezu
  augenzwinkernd etwas Vertrautem eine ganz neue Gestalt gibt. Es ist aber noch
  etwas Anderes, das ebenfalls an Nancarrow denken läßt, nämlich die
  Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Metren, wie sie in vielen der Etüden zu
  finden ist: während das Ostinato eine feste Periodenlänge von 8 Achteln hat,
  schwanken die darüberliegenden Phrasen der ‚schrägen’ Hornquinten in einer
  Länge von zunächst 13 oder 14 Achteln.  Ich sollte vielleicht noch
  erwähnen, daß das Ostinato metrisch zwar dreigeteilt, tonal aber gleichzeitig
  nur zweigeteilt ist: den ersten vier Tönen der C-Dur Skala folgen die ersten
  vier der Fis-Dur Skala. Also auch hier ist schon eine versteckte
  Gleichzeitigkeit  von Verschiedenem vorhanden. 
  Es wäre verführerisch,
  jetzt noch den Prozeß der gleitenden Veränderungen bei der Harmonik der
  Dreiklangsfolgen auf den metrischen Schwerpunkten des Ostinatos genauer zu
  verfolgen, denn auf höchst spannende Art erweitert Ligeti die anfänglich
  klare Ordnung (zunächst vier Phrasen Dur-Klänge, dann vier Phrasen
  Moll-Klänge und dies gekoppelt mit einer Kreuzung der Stimmen beim tonalen
  Geschlechtswechsel), indem die Phrasen der „Fanfaren-Motive“ teilweise
  länger, zudem mit Septakkorden oder verminderten Dreiklängen angereichert
  werden und sich schließlich in lineare Figurationen auflösen. Es ist ein
  Prozeß zunehmender Komplexität. 
  Ich verzichte an dieser
  Stelle auf eine weitergehende Analyse, erwähne es aber deshalb, weil
  Ähnliches immer wieder bei Nancarrows „Studies“ zu beobachten ist, und dies
  nicht nur bei den frühen: er beginnt mit einer Allusion tonaler und fast
  funktionaler harmonischer wie melodischer Modelle, die sich dann in freierer,
  aber davon abgeleiteter Gestalt weiterentwickeln. 
    
  IV  
  (Durchführung)
    
  Aus den früheren
  Ostinato-Studies Nancarrows ragt die No. 5 eindeutig heraus. Und sie ist
  trotz ihres abstrakteren Stils, der schon auf die späteren „Studies“
  verweist, ein beredtes Beispiel für Nancarrows Gespür für emotionale Wirkung!
  (Beim ersten Hören dieser „Study“ mußte ich unwillkürlich an Ravels „Bolero“
  denken.) Gleichzeitig zeigt sie auf verblüffende Art, wie bei ihm
  funktionales, diatonisches und chromatisches Denken höchst raffiniert
  verschränkt sind. 
  Diese „Study“ gehört zu
  jenen, deren Verlauf einem stringenten Prozeß unterliegen, also einem
  Höchstmaß an kompositorischer Planung unterworfen sind, wie es etwa auch beim
  berühmten Canon X („Study No. 21“) der Fall ist, auf den ich später noch zu
  sprechen komme. Und diese „Study“  spielt mit den Grenzen der
  Wahrnehmungsschwelle. 
  In der No. 5 schichtet
  Nancarrow zwölf (bzw. 13) harmonisch und rhythmisch unabhängige Ebenen, die
  nach und nach einsetzen, und schafft in der Addition damit ein
  beeindruckendes polytonales Klanggebäude. Zunächst setzen zwei ostinate
  Ebenen gleichzeitig ein, die untere mit kraftvollen Baßschritten in Oktaven
  wiederholt permanent eine C-Dur Kadenz, die zweite – ebenfalls in Oktaven
  gesetzt – ist eine aufsteigende pentatonische Skala in H-Dur, mit Fis
  einsetzend. Die Phasenlängen betragen 98 und 77 Sechzehntel, so daß im
  Verlaufe der knapp drei Minuten, die das Stück dauert, der Beginn beider
  Perioden trotz eines ungefähren Verhältnisses von 5:7 (was der Tritonus-Spannung
  der Anfangstöne C und Fis entspricht) nie wieder zusammenfällt. Dennoch
  empfindet man beide Schichten als zusammengehörig; daß es ein von Nancarrow
  sogar selbst geliefertes Argument dafür gibt, beide Schichten als
  „Resultante“ [7], wie Tenney es nennt, aufzufassen, davon später. 
  (Es ist übrigens ein
  denkwürdiger Zufall, daß die beiden Initialtöne C und Fis auch exakt der
  tonalen Zweiteilung des Ostinatos in Ligetis 4. Klavieretüde entsprechen!) 
  Auf dieses doppelte
  Grund-Ostinato setzen nun nach und nach fünf weitere Schichten ein, jeweils
  schnelle symmetrisch ab- und wieder aufsteigende Arpeggio-Arabesken. Die
  erste Figur mit einer Länge von 11 Sechzehnteln steht in b-moll mit
  phrygischer Sekunde, die zweite mit einer Länge von 7 Sechzehnteln klingt
  nach einem alterierten Dominantseptakkord auf F, die dritte (13 Sechzehntel
  lang) besteht aus einem G-Dur Dreiklang und einer viertönigen Ganztonskala
  von E abwärts, die vierte ist eine diatonische Skala innerhalb eines
  gedachten B-Dur Septakkordes mit einer Länge von 9 Sechzehntel und die fünfte
  ist eine fast vollständige a-moll Tonleiter (wieder mit phrygischer Sekunde)
  mit einer Länge von 15 Sechzehnteln. Bei diesen fünf Schichten werden die
  Perioden ihrer Wiederholung durch Verkürzung der zwischenliegenden
  Pausenwerte kontinuierlich verkürzt.  
  Nun folgen in der
  zunehmenden Addition zwei gestisch sehr prägnante Schichten. Zunächst ein
  fanfarenartiges Motiv mit sieben gleichmäßigen, trompetenhaften
  Dreiklangsstößen, wobei die drei benutzten Dreiklänge F-Dur, A-Dur und As-Dur
  in mediantischem Bezug zueinander stehen. Dieses Motiv erscheint alternierend
  in zwei Gestalten, jeweils quasi gespiegelt. Es folgt eine aperiodische,
  chromatisch fallende Figur im Quintrahmen der Töne F und C. Diese beiden
  Schichten behalten ihre Einsatzabstände konstant bei; die Phasenlängen
  betragen 51 (21{Dauer der Figur} + 30 {dazwischenliegender Pausenwert}) und
  66 (35 + 31) Sechzehntel. 
  Auch die weiteren vier
  Schichten, die nun noch hinzukommen, haben jeweils konstante Phasenlängen.
  Zunächst im tiefen Register zwei sich abwechselnde Doppelquintklänge auf Des
  und Ges (womit wieder einmal ein Tonika-Dominant-Verhältnis suggeriert wird),
  deren Wiederholungsabstand 22 (11 + 11) Sechzehntel beträgt, dann im Diskant
  die über die Oktave gespreizte Moll-Terz B – Des, die im Abstand von 17
  Sechzehnteln erscheint. Es folgt, wieder im tiefsten Baß die Quinte H – Fis,
  sie erklingt alle 13 Sechzehntel; und zuguterletzt kommt noch im
  allerhöchsten Register der Dreiklang E-Fis-A  mit einem
  Wiederholungsabstand von 19 Sechzehnteln hinzu. 
  Jede der Schichten hat
  also ihre eigene ganz tonale Zentrierung, in der sie konstant verharrt. Durch
  die komplexen Verhältnisse der unterschiedlichen Phasenlängen der einzelnen
  Schichten – sie entstehen durch die Bevorzugung ungerader Dauernwerte –
  erscheint aber das stets Gleiche in immer wieder neuen Kombinationen und
  durch die zunehmende Addition, bzw Accelleration der fünf Arpeggio-Schichten
  entsteht gleitend eine Gesamt-Textur, die sich zu einer Art „weißem Rauschen“
  verdichtet. 
  Das wirklich Geniale
  dieser „Study“ ist ihre Tonhöhenorganisation! Jede der Schichten nutzt einen
  beschränkten Tonvorrat (es sind der Reihe nach 15 + 11 / 6, 4, 7, 5, 8 / 7, 8
  / 6, 2, 2, und 3 Töne), und Nancarrow hat dies so strukturiert, daß jeder Ton
  der gesamten Klaviatur genutzt, dabei aber nur jeweils in einer Schicht
  verwendet wird – es fehlen lediglich die beiden tiefsten und drei höchsten
  Töne, die beim Player-Piano nicht spielbar sind, da diese Tonspuren der
  Papierrolle für die Steuerung der Dynamik und des Pedals belegt sind. Es
  erklingen also tatsächlich am Ende alle 83 möglichen Töne quasi gleichzeitig
  als chromatische Totale [8].
  Einzige Ausnahme ist das H unterhalb des mittleren C, das sowohl als Leitton
  in der ostinaten C-Dur Kadenz und in der pentatonischen Skala als Grundton
  vorkommt, so daß mit dieser Verknüpfung praktisch eine „komponierte“
  Legitimation gegeben ist, diese beiden Ostinato-Schichten, wie oben schon
  angedeutet, als eine Einheit aufzufassen. 
    
    
    
  V   (Intermezzo)
    
  Reine Dur-Dreiklänge in
  enger Lage und jazz-ähnliche Texturen tauchen, nachdem Nancarrow in den
  mittleren „Studies“ oftmals Sept- oder Nonenakkorde, sowie noch komplexere
  Misch-Akkorde und ohnehin abstraktere musikalische Aggregat-Zustände
  verwendet, wieder in den letzteren „Studies“ auf, etwa in den  No.
  41a–c. Hier werden sie allerdings eigentlich ausschließlich wie Mixturklänge
  eingesetzt, und versteckt funktionales Denken verschwindet hier zugunsten
  eines fast improvisatorischen Tonfalls. Ein gestisch freies Parlando mit
  zahllosen rasanten Glissando-Einwürfen kennzeichnet diese „Studies“. 
  Aber ich möchte noch eine
  kleine Auswahl an Beispielen bringen, bei denen die Schatten des „verdeckt
  tonalen und funktionalen Denkens“ auch dort zu spüren sind, wo es auf den
  ersten Blick (oder beim ersten Hören) nicht so offensichtlich ist, wie bei
  den zuvor erläuterten Fällen. Dabei möchte ich die rhythmisch-metrischen
  Aspekte einmal ausklammern, so faszinierend diese auch jeweils sind. 
    
  Die fünftönigen
  Staccato-Akkorde, die als Wiederholungssequenz einer 15 Werte umfassenden
  Dauernserie die „Study No. 11 eröffnen, haben als unterstes konstitutives
  Binnen-Intervall durchwegs die Quinte, und die ersten fünf Klänge lassen sich
  eindeutig als eine Kadenzbildung T – tG – S – D – T in C-Dur lesen. Auch der
  weitere modulatorische Verlauf ließe sich funktional erklären, er mündet in
  einer Art Schlusswendung (S – D) zur ersten Wiederholung dieser Dauernserie,
  die nun mit einem F7-Akkord (also subdominantisch zum anfänglichen
  C7-Dur) beginnt. Während die Dauernserie unverändert 16mal im
  ersten Abschnitt des Stückes erscheint, wird der Kreis der pseudo-tonalen
  Funktionen permanent leicht variiert. 
   
  Auch in der „Study No. 14“
  (Canon – 4/5) bestimmt die Quinte das harmonische Geschehen, sie ist nämlich
  die Distanz der beiden metrisch zwar selbständigen, aber vom Text identischen
  Schichten: die untere langsamere, aus zwei Linien bestehende Schicht steht in
  der Tonalität E, die später einsetzende hohe steht in einer H-Tonalität. 
  Dies erinnert eindeutig an
  die Dux- und Comes-Situation der alten Fugentechnik. 
    
  Bei der „Study No. 18“
  (Canon – 3/4) findet man zu Beginn die Allusion einer Quintfall-Sequenz
  ausgehend von A-Dur.  
   
  Auf eine äußerst spannende
  und ungewöhnliche Art nutzt Nancarrow den reinen Dur- (bzw. Moll-) Dreiklang
  in der „Study No. 24“ (Canon – 14/15/16). Die drei Stimmen dieses Canons
  stehen in einem jeweils über die Oktaven gespreizten Dreiklangs-Abstand. Sie beginnen
  gleichzeitig, bedingt aber durch die ganz nah beieinander liegenden
  Temporelationen der drei Stimmen zueinander entstehen aufregende
  Interferrenzen des zeitlichen Ablaufes: der anfänglich vertikale
  Dreiklangs-Abstand der Stimmen verrutscht also immer mehr in horizontale
  Richtung. In der Mitte des ersten Abschnittes kehrt sich dieser Prozeß wieder
  um, indem die beiden äußeren Stimmen ihre Temporelationen (16/14)
  austauschen, während die mittlere in ihrer (15) verharrt. Damit nähert sich
  der ‚virtuelle’ Dreiklang im Abstand der drei Stimmen wieder, bis er am Ende
  im vertikalen Zusammenklang wieder übereinandersteht. Dieses Prinzip
  gradueller Phasenverschiebung bleibt konstitutiv für das ganze Stück. 
  Aber nicht nur der Abstand
  der drei Stimmen ist „tonal“, sondern auch jede Linie für sich umspielt
  permanent tonale Zentren. Die oberste beginnt in A-Dur und führt gleich
  weiter zur Dominante E, die mittlere startet dementsprechend in Fis-Dur, die
  untere in D-Dur. 
  Beim zweiten Abschnitt des
  Stückes, der im Kontrast zur weichen Melodieführung des ersten von kurzen
  prägnanten Staccato-Motiven geprägt ist, ist nun der Abstand der drei Stimmen
  ein gespreizter Moll-Dreiklang. Er beginnt mit h-moll, was die Moll-Parallele
  zum D-Dur am Beginn des Stückes ist. Auch dieses harmonische
  Beziehungsverhältnis zweier kontrastierender musikalischer Gedanken kennen
  wir aus der Tradition! 
    
  Und noch ein Beispiel für
  die denkwürdigen unterirdischen Bezugslinien zur Tradition tonalen Denkens.
  Beim geradezu enigmatischen Canon 1/1 („Study No. 26“), bei dem die insgesamt
  sieben, immer in Oktaven und gleichförmig in ganzen Notenwerten schreitenden
  Stimmen mit einer fünftönigen Sequenz beginnen, ist – wie ich finde – eine
  verblüffende Ähnlichkeit zu den ersten fünf Tönen des Themas aus dem
  „Musikalischen Opfer“ von Bach gegeben. Nancarrow beginnt mit dem Leitton H
  zum abwärts gerichteten C-Dur Dreiklang, dem der Mollterzton Es folgt; dies
  klingt wirklich fast wie Bach rückwärts! Auch die weitere Linienführung läßt
  Verwandtschaften erkennen: die bei Bach fallende chromatische Linie im
  Quintrahmen des Ausgangsdreiklangs wird bei Nancarrow zu einer schnabelförmig
  sich schließenden, chromatischen Ausfüllung des binnenliegenden Tonraumes. 
    
   
    
  Man kann nur darüber
  spekulieren, ob Nancarrow hier bewußt seiner Musik einen heimlichen Verweis
  auf Bach eingeschrieben hat. Es wäre nicht verwunderlich, bekannte Nancarrow
  doch, daß die wesentlichen Einflüsse bei ihm „die Musik Strawinskys und
  bis zu einem gewissen Grade diejenige Bartóks und natürlich die Musik Bachs
  gewesen sind.“ [9] 
    
  VI   (Reprise & Coda) 
    
  Eine „heimliche
  Botschaft“, die äußerst raffiniert versteckt wurde, glaube ich, im wohl
  berühmtesten Stück von Nancarrow, dem Canon X („Study No. 21“), gefunden zu
  haben. Davon nun zum Schluß. 
  Der Canon X gehört wie die
  „Study No. 5“ zu jenen Stücken, denen ein ausgeklügelter, strenger formaler
  Bauplan zugrunde liegt. Und trotz aller Strenge ist dieses außergewöhnliche
  Stück alles Andere als akademisch, so simpel die eigentliche kompositorische
  Idee zunächst erscheint. Das „X“ verweist symbolisch auf die gegenläufige
  Temporelation der beiden Stimmen: die eine im Baß beginnt in relativ
  langsamem Tempo, die andere wenig später im Diskant einsetzende beginnt in
  einem sehr schnellen Tempo. Im Verlauf des Stückes beschleunigt sich die eine
  Stimme permanent, während sich im Gegenzug die andere kontinuierlich
  verlangsamt, so daß sich beide Stimmen in der Mitte bei einem mittleren Tempo
  wie ein „X“ kreuzen. Nun ist das Stück aber eben nicht streng symmetrisch
  gebaut, sondern hat eine dynamische Komponente, die aus verschiedenen
  Faktoren gespeist ist. Zum einen beginnen nicht beide Stimmen gleichzeitig,
  aber sie hören gleichzeitig auf! Zum andren klaffen die Proportionen zu
  Beginn und am Ende weit auseinander: am Anfang ist das Verhältnis beider
  Stimmen zueinander 1 : 11 (bei etwa 3,5 Tönen pro Sekunde bei der langsamen
  Stimme), am Ende haben wir ein Verhältnis von 98 : 1 (wobei sich die
  beschleunigende Stimme nun auf schier unglaubliche 111 Töne pro Sekunde
  gesteigert hat, während die andere sich auf etwa 2,3 Tönen pro Sekunde
  verlangsamt hat).  
  Zudem gibt es noch eine
  Art „Stringendo“ im Tonmaterial, denn neben der Strukturierung der
  Tempobeziehungen ist auch die Organisation der Tonhöhen sorgfältigst geplant:
  beide Stimmen basieren auf einer Reihe von zunächst 54 Tönen. Bei jedem
  weiteren Durchgang fällt der jeweilige Anfangston der sich somit stetig
  verkürzenden Reihe fort, so daß von dieser Reihe schließlich nur noch ein Ton
  (der letzte) übrig bleibt. Beim Tonmaterial beider Stimmen gibt es also keine
  Gegenläufigkeit: die andere kehrt diesen Prozeß der sukzessiven Verkürzung
  nicht um! 
  Nun ist das Stück aber
  nicht an dem Punkt zu Ende, wo sich beide Stimmen (sozusagen in der Phase)
  bei diesem letzten Ton der Reihe treffen – an diesem Punkt haben sie nur ihr
  gegenseitiges Tempoverhältnis vom Anfang (1 : 11) im Austausch wieder
  erreicht - : hier beginnt nun eine Art „Reprise“, „Coda“ oder „Stretta“,
  indem die inzwischen langsamere Stimme in mittlerweile fünffachen Oktaven [10] noch einmal die komplette Reihe spielt und zu den
  54 Tönen am Ende sogar noch einen 55. Ton hinzufügt, während die inzwischen
  schnelle Stimme noch einmal den kompletten bisherigen Zyklus (54 + 53 + 52
  ... 3 + 2 + 1) in sich weiter steigerndem Tempo durchläuft, und am Ende
  ebenfalls im Einklang mit der anderen Stimme den 55. Ton C anhängt [11]. 
  Wenn man diese
  54-Ton-Reihe einmal genauer untersucht, stellt man fest, daß sie enorm viele
  tonale und funktionale Momente hat. Sie beginnt mit einer fast klassischen
  dominantischen Wendung zu f-moll und nach einer Moll-Subdominante erscheint
  sofort der Geschlechtswechsel zu F-Dur. Über die Zwischendominante E-Dur
  moduliert sie weiter zu A-Dur, usw. 
    
   
    
  Diese Tonreihe ist wegen
  ihrer latent tonal-funktionalen Gestalt schon aufregend!, zeigt sie doch ein
  erneutes Mal, daß Nancarrow höchst eigenwillig tonale Denkstrukturen mit
  komplexen Strategien der Zeitplanung verbindet, ohne daß damit ein
  Widerspruch im Gesamtkontext entsteht, ja vielleicht sogar diese scheinbar
  rückwärts gerichtete tonale Strategie notwendig ist als Gegengewicht zur
  Komplexität der metrischen Organisation.  
  Vielleicht noch
  aufregender ist aber die versteckte, nicht wahrnehmbare Tonreihe dieser
  „Study No. 21, die sich nur über die genaueste Analyse erschließt! Nancarrow erwähnt
  sie eher beiläufig in der eigenen Beschreibung dieser „Study“ [12], und er bleibt dabei recht ungenau, verschweigt
  sogar das Wesentliche! Und niemand scheint sie sich bisher einmal genau
  angeschaut zu haben.  
  Diese Reihe (es ist die
  Reihe, die sich ergibt, wenn man die Transpositionen der Ausgangsreihe bei
  ihren jeweiligen Wiederholungen notiert) hat nämlich auf geradezu
  atemberaubende Weise eine dynamische Komponente der ganz besonderen Art! 
  Diese Transpositionsreihe
  – man erhält sie, wenn man den jeweils letzten Ton notiert (denn nur dieser
  bleibt ja nach dem 54. Durchlauf am Ende übrig) – beginnt zwar zunächst, wie
  Nancarrow selber sagt, als streng dodekaphonische Reihe, doch ließt man den
  weiteren Fortgang genau, so ergibt sich ein ganz verblüffendes Phänomen!:
  geradezu fließend findet ein Prozeß statt, der von einer an Webern
  erinnernden Reihen-Technik mit ihren chromatischen Sequenz- und
  Spiegelbildungen [13] ausgeht, der sich aber über zunehmende
  Abweichungen vom seriellen Denken – in der Mitte dieser Reihe hat sich die
  Chromatik schon zu einer ganztönigen (bzw. übermäßigen Dreiklangs-) Tonalität
  aufgeweicht – nach und nach zu einer ganz schlichten diatonischen Schlußkadenz
  wandelt. 
    
   
    
  Bemerkenswert in diesem
  Zusammenhang ist zudem, daß Nancarrow auch die eigentliche Reihe bei ihrem
  letzten 55-tönigen Durchlauf in fünffachen Oktaven nach dem 50. Ton umbiegt
  zugunsten einer klaren Dominant-Tonika-Wendung, die zum Schlußton C führt. 
    
    
  
  Dies alles ist alles
  Andere als ein Zufall!  
  Bedenkt man die ungefähre
  Entstehungszeit des Canon X (Mitte der 60er Jahre, also die Zeit der
  „Hochblüte“ seriellen Denkens bei den europäischen Komponisten), so ist man
  sogar fast geneigt, zu vermuten, Nancarrow, der damals noch in völliger
  Isolation lebte, habe mit dieser versteckten Reihe eine heimliche Botschaft
  als ‚Flaschenpost’ an die ihn ignorierenden Komponisten-Kollegen gesandt: verlaßt
  das serielle Denken, kehrt zurück zur Tonalität! 
  Natürlich weiß ich, dies
  ist eine zwar verführerische, aber dennoch äußerst spekulative und ziemlich
  unwahrscheinliche Hypothese. Davon, daß diese ganz besondere, heimlich dem
  Canon X eingeschriebene Reihe aber dennoch für Nancarrow selbst
  bekenntnishaften Charakter bezüglich seiner eigenen Einstellung zur Tradition
  hat, davon bin ich zutiefst überzeugt! 
  Und ich darf zur
  Bestätigung meiner Überzeugung noch einmal eine andere ganz besondere Reihe
  in Erinnerung rufen, die 12-Ton-Reihe des „Violinkonzertes“ von Alban Berg.
  Auch sie hat bekenntnishaften Charakter. Ihr Prinzip, Zwölftondenken mit
  traditionellem Dreiklangsdenken zu verschmelzen ist nirgendwo sonst bei ihm
  so extrem ausgeprägt. Die Terzschichtung aus g-moll, D-Dur, a-moll, E-Dur,
  also Dreiklängen auf den leeren Saiten der in Quinten gestimmten Geige, und
  die sich zum Schluß öffnende Ganzton-Folge sind ebenso wie bei Nancarrows
  Reihe ein Zeugnis für die tiefe Verwurzelung des Komponisten in der
  Tradition  und gleichzeitig trotz dieser Bindung an Vergangenes eine
  „komponierte“ Option in die Zukunft. 
    
  Hören wir nun abschließend
  den immer wieder faszinierenden Canon X, dessen kompositorische Anlage fast
  bildlich den Punkt ausmacht, wo Vergangenes und Zukünftiges sich im Moment
  der Gegenwart treffen. 
    
    
    
  © 2001
   Michael Denhoff        
    
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