über das Komponieren
„Suche aus Freude am Suchen nicht aus Freude am Finden.” (J. L. Borges)
„Kunst als Experiment wird überleben, Kunst aus Sicherheit dagegen nicht.” (Th. W. Adorno) |
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den Raum mit Klang durchsetzen und ihm so Körper geben
Klangprozesse: Klangahnung, Klangnäherung, Klangfindung, Klangentfesselung, Klangentrückung, Klangzersetzung, Klangerinnerung (vielleicht die Beschreibung einer möglichen Musik ... oder der eigentliche Vorgang beim Komponieren)
Zweifel und Sicherheit bei der Arbeit sind nicht der Kampf der Gegensätze, sondern die sich ergänzende Einheit des Schöpferischen
ich zweifele an mir, also bin ich
der Verzweiflungsgrad steigt mit wachsendem Bewußtsein, zum Glück auch der Rauschzustand bei der Arbeit, wenn die Gedanken der Geschwindigkeit des Schreibvorganges weit vorauseilen
Inspiration ist kein verbaler Vorgang und auch keine erzwingbare Befindlichkeit, sie ist das zufällige Auftauchen von noch ungeordneten Klängen auf der Netzhaut des inneren Ohres, auf der sich diese vagen Gebilde im Zustand gesteigerter Wachheit einbrennen können
nur was eine Eigendynamik hat, kann raum- und zeitgestaltend wachsen und wuchern
nur zwei Töne (Klänge) hintereinander, und schon ist es so, als sei ein ganzes Universum von Klangkombinationen in seiner Kybernetik bestimmt und gebunden
die energetische Potenz des Intervalls; die Farbe (Klangfarbe) als Dimension der Temperatur des Erlebens; die Artikulation definiert den Affekt
die Klänge sind nur Bilder dessen, was hinter ihnen liegt
in jedem Ton steckt Wahrheit, deshalb sollte man mit Tönen vorsichtig umgehen
Wahrhaftigkeit ist nicht ein musiksprachliches Problem, sondern die Fähigkeit, auf das einzugehen, was den Menschen (und nicht nur den Musiker) bewegt: die Stimme des Komponisten sollte in einer Art Linse das Licht der Wahrheit zu bündeln versuchen
der Klangraum als Metapher für den Lebensraum
und immer wieder: zögern, innehalten, nachhören, von Neuem tastend das Entlegene suchen; - die ständig lauernde Gefahr ist die schon gemachte Erfahrung und Routine bei der Arbeit
mit dem Schreiben die Annäherung an eine Idee
Komponieren: eine Art, die Töne zu ordnen, die, durch ein Netzwerk sich verbietender Möglichkeiten gefiltert, übrig geblieben sind
Komponieren: das Unendliche zum Endlichen verdichten, oder einen winzigen Ausschnitt der Unendlichkeit eingrenzen
Komponieren: eine Art Protokoll der Transformationsprozesse von Denken und Empfinden; ein zutiefst individuelles Ereignis, subjektiver Akt
wie oft passiert das: wenn man komponiert, verliert man das, was man gehört hat; die Einfälle ändern ihre Physiognomie, sobald man Ihnen Gestalt zu geben versucht
mit jedem Stück gegen das vorherige anschreiben
Empfehlung: das gerade Geschriebene sofort vergessen, damit der Kopf wieder frei ist für Neues
vielleicht das Geheimnis aller schöpferischen Energien: ein Ziel vor Augen, dennoch es nie vollends erreichen; jedes neue Stück ist auf dem Weg der parabelförmigen Annäherung
die eigenen Grenzen kennen, um sie überschreiten zu können
Form ist nur ein Vehikel, gedankliche Zusammenhänge in eine Ordnung zu bringen; auch assoziatives und vegitatives Schreiben hat eine übergreifende Ordnung, die durch die Besonderheit des schöpferischen Wesens bedingt ist
das, was im inneren Ohr einer außerzeitlichen Syntax gehorcht, gilt es, möglichst genau in klingende Sprache zu übersetzen
die abstrakte Intelligenz des künstlerischen Arbeitsprozesses: es schreibt, nicht ich schreibe
Ein Stück Mysterium bleibt bei jeder Kunst, auch für deren Schöpfer
Musik ist die Verlängerung der Sprache mit anderen Mitteln; ihre Mitteilung ist keine abgebildete Wirklichkeit, sondern sie schafft eine eigene (klangliche, räumliche, zeitliche) Wirklichkeit, bei der im Idealfall Komponist, Interpret und Hörer - wie drei Saiten ein und desselben Instrumentes berührt - eine geistige Einheit bilden
Musik als sinnlicher Zustand von Zeit ist das Heraustreten und Sich-Lösen aus ihr in die Zeitlosigkeit der Empfindungen
ein Kunstbegriff ist keine Ideologie
die größte Provokation ist nicht selten die künstlerische Ernsthaftigkeit; der unbeugsame Wille dazu ist der einzig legitime Lebensraum des Künstlers
es kann nicht darum gehen, wie wirkt meine Musik, es geht allein um die Sache, um den Ausdruck und den Willen dazu; die Suche gilt dem, wovon Musik nur die Übersetzung ist
Konzentration ist Verdichtung auf das Wesentliche. Abstraktion ist Aussparen des Unwesentlichen und Überflüssigen. Konzentration und Abstraktion sind Folge eines Reifungsprozesses, der mit der Erfahrung zusammenhängt
nur permanente Suche verhindert das in sich selbst verliebte Reproduzieren der vermeintlich gefundenen eigenen Sprache; erst geistige Beweglichkeit ermöglicht ständige innere Erneuerung, und dann kann Musik etwas bewegen und bewirken, „weil”, wie Bernd Alois Zimmermann sagte, „ihre Wirkung aus dem Geistigen kommt und zutiefst in dem Erstaunen der Seele liegt, die das vernimmt, was sie zwar weiß und wußte, aber nicht zu benennen vermochte”.
© 1990 Michael Denhoff
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