Giso Westing Laudatio Michael Denhoff anläßlich der Übergabe das Gerda und Günter Bialas Preises der Bayerischen Akademie der Schönen Künste am 13. November 2013
Michael Denhoff wurde 1955 im westfälischen Ahaus geboren. Schon als Schüler beschäftigte er sich ernsthaft mit Malerei und Musik, um sich dann mit etwa 16 Jahren gänzlich für die Musik zu entscheiden. Es folgte ein Musikstudium in Köln in den Fächern Violoncello (bei Siegfried Palm und Erling Blöndal-Bengtsson), Komposition (bei Jürg Baur und Hans Werner Henze) und Kammermusik mit dem Denhoff-Klaviertrio (bei dem Amadeus-Quartett). Er war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes, hatte und hat bis jetzt verschiedene Lehraufträge und erhielt für seine Kompositionen zahlreiche Preise und Auszeichnungen, wie den Rom-Preis Villa Massimo, 1. Preise bei den Kompositionswettbewerben Hitzacker und Bergisch-Gladbach, den Bernd-Alois-Zimmermann-Preis wie den Annette von Droste Hülshoff Preis. Außerdem war er von 1985 – 1992 Leiter des Akademischen Orchesters in Bonn. Sein Werk als Komponist ist auf über 100 Opuszahlen sowie weitere Arbeiten außerhalb des Verzeichnisses angewachsen. Von der äußersten Verknappung in der musikalischen Miniatur bis hin zur großen sinfonischen Form, vom einzelnen Akkord im „Klangtagebuch“ bis zum abendfüllenden zwölfteiligen Kammermusikzyklus „Hauptweg und Nebenwege“ spannt sich sein Oeuvre. Vom Solostück und Streichquartett, über die Oratorischen Szenen des „Traumbuchs eines Gefangenen“ und die Kammeroper „Der Pelikan“ sowie viele weitere Formen mehr, reicht das Genre seiner Kompositionen. Über die Sicherheit in der formalen Beherrschung der Mittel (die er deshalb auch immer wieder infrage stellt) hinaus, geht es ihm darum, die seelischen Zustände wie auch Abgründe der Menschen darzustellen oder zumindest in Musik erlebbar zu machen. Die Kunst von Michael Denhoff drückt die Differenz, die Spannung zwischen dem Individuum und der Welt aus. Dieser Widerspruch ist das Unbegreifliche und die Kunst ist der Versuch, damit fertig zu werden, als eine persönliche Methode, den Widerspruch zwischen dem Ich und der Welt zu vermitteln. Im Idealfall kommt bei dieser Anstrengung etwas heraus, das sich auch in lebendiger Form den anderen Menschen mitteilt. So ist bei aller Uneindeutigkeit, Vielfalt und Mehrdeutigkeit der Kunstwerke dennoch Geltung im Ausdruck möglich. Als der Komponist Michael Denhoff im Alter von 26 Jahren und schon auf einem recht hohen Stand seiner Kunst, sich nach dem Sinn des Weiterkomponierens fragte, hatte er ein gewisses ästhetisches Ideal erreicht und gleichzeitig bemerkt, dass ihm etwas Entscheidendes fehlte. Als vielseitig Begabter hat er neben der ausgeprägten Musikalität auch eine Neigung zur Malerei und starke synästhetische Empfindungen: Töne assoziiert er mit Farben wie umgekehrt, Farben mit Tönen. Die damit verbundene Gefahr eines Schwelgens in Farbtönen und Tonmalereien erkannte er damals genau und er wusste, dass ihn auch eine Klangwelt wie die von Olivier Messiaen nicht mehr weiter bringen konnte. Die Begegnung mit den Radierzyklen von Goya erweiterte Michael Denhoffs kompositorische Intentionen. Diese ausdrucksvollen Blätter, die vom Wahn, Leid und Narretei des Menschen erzählen, halfen dem noch jungen Komponisten, den Schleier des bloß Musischen zu zerreißen und in die Musik auch das Nichttönende, das Fremde und Außermusikalische oder auch Welthaltige mit hinein zu nehmen. Der Künstler ist in der schwierigen Lage, einerseits kritische Distanz zum eigenen Schaffen aufzubauen, andererseits muss er sich selbst an sich selbst immer wieder begeistern können. Diese Gegensätze müssen stets neu vermittelt werden, um nicht unkritisch zu werden und in Selbstverliebtheit zu verkommen – oder, was genau so schlimm ist, an sich zu verzweifeln und einfach aufzuhören. Deshalb fällt Michael Denhoff das Komponieren nicht leicht und besonders der Anfang, das Aufspüren und Vorbereiten eines entwicklungsfähigen Ausgangsmaterials ist eine oft mühsame Prozedur. Mit der Auseinandersetzung mit Francisco de Goya kommt auch ein neues Element in die Arbeit des Komponierens: Die Unvorhersehbarkeit, es einfach nicht zu wissen, wie es enden wird. Nachdem Michael Denhoff schon zehn Jahre lang gut gemachte, ernstzunehmende Musik geschrieben hatte, waren die „Goya-Impressionen“ 1982 ein Wendepunkt. Es beginnt hier das vegetative Komponieren, als prozessuales Denken, welches natürlich ein Material verlangt, das für so ein Verfahren ergiebig genug sein muss. Andererseits erfordert eine derartige Arbeitsweise Geistesgegenwart und größte Kenntnis der Mittel der Durchführungs-möglichkeiten, der tonalen Beziehungen und des Kontrapunktes. Interessant ist, wie Michael Denhoff die Synthese aus Altem und Neuem und aus Fremdem und Eigenem immer wieder zustande bringt. Es sind die Gegensatzpaare, die seine Arbeit und sein Denken antreiben. Seine Musik ist tief dialektisch. Für ihn bedeutet das Einfache immer Reduktion aus einer gedachten, im Hintergrund noch anwesenden Komplexität oder Vielheit. Töne, die möglicherweise erklingen, es am Ende aber nicht tun, werden mitgedacht. Daher auch seine Aversion gegen jedwede Form von simplem Minimalismus. Auch das äußerst Reduzierte darf nicht vorhersehbar werden. Das gleiche gilt für die „schönen Stellen“ und überhaupt für die Harmonien. Seine Musik entsteht aus dem Bewusstsein, dass die Schönheit sich im kurzen Aufleuchten zeigt und nicht strapaziert werden darf. Und das jeweils auf die Situation zugeschnittene Ausgangsmaterial erlaubt auch klassische Kompositionstechniken, ohne danach zu klingen. Durch diesen Kunstgriff kann Michael Denhoff im Zentrum dessen arbeiten, was Musik von jeher ausgemacht hat. Und er kann sich an großen Vorbildern, wie Ludwig van Beethoven reiben, ohne epigonal zu werden. Denn es geht um die großen abstrakten Konstanten – durch das Stilistische hindurch – um das, was „hinter den Klängen liegt“, wie Denhoff einmal sagte, erfahrbar zu machen. Die Beschäftigung mit Goya und seiner Zeit brachte ihn für einige Jahre zu einer düsteren Dramatik, der Klavierzyklus „Atemwende“ nach Gedichten von Paul Celan und das „Traumbuch eines Gefangenen“ fallen darunter – und dennoch – sind vielfältige Momente und Stimmungen, alle nur denkbaren Kontraste in diesen Werken vereint. Jeder Künstler braucht etwas, das seine Kunst von außen speist, etwas, was außerhalb der eigenen Arbeit liegt und dadurch Auslöser werden kann. Für Michael Denhoff ist das neben der Bildenden Kunst in starkem Maße die Literatur. Eine Art Zwiesprache zwischen der Aneignung von Texten und dem Denken in Tönen könnte man diese Beziehung von Musik und Literatur nennen. So unterschiedliche Autoren und Dichter wie Marcel Proust, Horst Bienek, August Strindberg, Samuel Beckett oder Stephane Mallarmé und Michael Donhauser wurden neben dem schon erwähnten Paul Celan zu Initialzündern für Kompositionen. Und sogar ein Interpret, nämlich Glenn Gould, hat Michael Denhoff zu einer neuen Werkphase angeregt: In den späten 80er Jahren beginnt mit den „Monologen“ ein eigenständiger Strang von sehr zurückgenommenen, verhaltenen Arbeiten als zeitgedehnte Innenschau. Die seelischen Zustände des Einzelnen, auf sich bezogenen Menschen, die Nuancen flüchtiger Gefühle werden über Musik erfahrbar gemacht. Das, was sich schon in einem „Klangtagebuch“ in nuce ankündigte, wird weitergetrieben und in groß angelegte Formen gebracht. Es entstehen Zyklen, die in tagebuchartiger Fortspinntechnik zu Jahresaufgaben werden. Ein 52teiliges „Hebdomadaire“ für Klavier und der „Hauptweg und Nebenwege“ als Aufzeichnungen für Streichquartett und Klavier in 12 Teilen, die wiederum in Tagesabschnitten sich entwickeln. Ein Dialog zwischen den Künsten, der sich über 9 Jahre hinzog, sind auch die „Skulpturen“, als eine Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Wolfgang Ueberhorst: Der Bildhauer hatte den Komponisten mit einer Skulptur zu einer Klavierkomposition angeregt, und der Bildhauer hatte wiederum auf dieses Stück mit einer weiteren Plastik reagiert. Am Ende standen 6 Plastiken und 5 Klavierstücke, interdisziplinär verschränkt. Das lebendige, vielseitige Interesse an den verschiedenen Formen gibt der Musik von Michael Denhoff immer neue Impulse. Aus der Beschäftigung mit Conlon Nancarrow ging eine Serie von „Inventionen“ für das automatisierte Klavier, dem Player-Piano hervor. Glockenklänge, während eines Arbeitsaufenthaltes in Italien gehört, wurden zu einem „Glockenbuch“. Ja, selbst Staßengeräusche in Paris werden zu Musik, der „Rue Sedaine“ Und der feine Klangsinn, verbunden mit der Lust an Kombinationen bringt den Komponisten dazu, mit den musikalischen Besetzungen zu experimentieren. 12 Quartette mit systematisch wechselnder Besetzung, die zudem auch noch in ausgewürfelter Reihenfolge gespielt werden können, sind das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem „Würfelwurf“, dem „Coup de Dés“ von Mallarmé. So, wie sich Michael Denhoff seinen Hörer wünscht, welche Einstellung hinter seiner Musik steht, beschreibt er im Zusammenhang mit dem Gedicht von Mallarmé. Auf einen Hörer seiner Musik übertragen, hieße das: „Als eine Partitur mit vexatorischen Elementen lässt sie sich nicht auf eine einfache Weise entschlüsseln, sondern fordert einen Hörer, der Hören im emphatischen Sinne versteht, als einen Vorgang des Entzifferns, der mehr als nur analytisches Begreifen ist. Nicht nach dem Sinn ist zu fragen, sondern das Angedeutete aufzusuchen, das offen für verschiedene Möglichkeiten sein kann, tastend und innehaltend. Der Weg kann kein linearer sein, kein eindeutig festgelegter. Es ist ein Weg, der allein durch die singuläre Individualität des Hörers bestimmt wird.“ Der Hörer muss also auch seine Persönlichkeit mit in die Musik investieren. Deshalb entzieht sich auch diese Musik der Konsumierbarkeit. Sie fordert vom Hörer eine Anstrengung, um ihn dann zu beschenken. Michael Denhoff, der bekennt, nicht durch das offizielle Musikstudium zu sich gekommen zu sein, steht aufrichtig zu denjenigen, die ihm den Weg gewiesen oder den gefundenen Weg bestätigt haben durch ihren Einfluss. Um nur einige zu nennen: Bernd Alois Zimmermann, den er persönlich nicht mehr kennenlernen konnte wie auch Morton Feldman. Besonders fruchtbar war die Begegnung mit Günter Bialas, dessen große Kunst und Menschlichkeit ihm viel bedeuten, ja, bei dem er privat auch studiert hat. Und in dem Zusammenhang muss auch die geistige Nähe im freundschaftlich-kollegialen Austausch mit György Kurtág erwähnt werden, der bis heute anhält. Michael Denhoff ist nicht nur Komponist, als Cellist ist er auch Interpret, Kammermusiker und er ist Initiator von Veranstaltungsreihen wie den 100 Klavierstücken zum vergangenen 20. Jahrhundert oder dem „Wortklangraum“, einer Begegnung von zeitgenössischer Musik und Literatur in Bonn. Diese Aktivitäten stehen in enger Beziehung zu seinem Kunstbegriff. Die großen Konstanten der klassischen Philsophie, wie die Fragen nach Schönheit, Wahrheit und Erkenntnis werden in seiner Kunst immer wieder neu verhandelt. Auch in den neuesten Werkgruppen der „Strophen“ und der „Schönsten Lieder“ geht es um das Schöne, als Realität des Geistigen, das heute allzu leichtfertig als nicht mehr zeitgemäß denunziert wird. „Der geistige Gehalt schwebt nicht jenseits der Faktur“, sagt Theodor W. Adorno in seiner „Ästhetischen Theorie“, „sondern die Kunstwerke transzendieren ihr Tatsächliches durch ihre Faktur, durch die Konsequenz ihrer Durchbildung.“ Und an anderer Stelle heißt es: „... die durchgeformten Werke, die formalistisch gescholten werden, sind die realistischen insofern, als sie in sich realisiert sind und vermöge dieser Realisierung allein auch ihren Wahrheitsgehalt, ihr Geistiges verwirklichen, anstatt bloß es zu bedeuten“.
© Giso Westing – (Eingabe ins Internet mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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Michael Denhoff Dankrede anläßlich der Verleihung des Gerda-und Günter-Bialas-Preises
Denken und Danken sind in unserer Sprache Worte ein und desselben Ursprungs. Wer ihrem Sinn folgt, begibt sich in den Bedeutungsbereich von: „gedenken“, „eingedenk sein“, „Andenken“, „Andacht“. Erlauben Sie mir, Ihnen von hier aus zu danken.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit diesen Worten begann seinerzeit Paul Celan seine Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Bremer Literaturpreises. Auch ich möchte an diesem Ort auf gleiche Art und Weise herzlich danken und vor allem des Komponisten „gedenken“, der wie kein anderer mit Herzenswärme und geradezu väterlicher Nähe meine ersten kompositorischen Gehversuche begleitete und mir schon in ganz jungen Jahren Mut machte, unabhängig meinen Weg zu gehen: an Günter Bialas möchte ich also erinnern, zu dessen „Andenken“ dieser Preis gestiftet wurde, den ich heute in Empfang nehmen darf. „Eingedenk“ des großen Glücks, Günter Bialas schon im Alter von 14 Jahren kennengelernt zu haben, empfinde ich tiefe Dankbarkeit, in ihm nicht nur einen Mentor und frühen Lehrer gefunden zu haben, sondern zudem einen engen Freund, mit dem der Gedankenaustausch bis zu seinem Tode 1995 nie abgebrochen ist. Ich weiß, ich bin nur einer unter vielen, der die Begegnung mit Günter als wesentliche Bereicherung der eigenen künstlerischen Laufbahn empfindet. Seine menschliche Art und Weltoffenheit erzeugte stets eine Atmosphäre gegenseitig befruchtenden Gebens und Nehmens. Seine Großzügigkeit und Bescheidenheit sind mir bis heute Vorbild geblieben. Und wenn ich, wie erst kürzlich wieder, zusammen mit Helga Storck, seine Musik als Cellist spiele und aufführe, ist er auch als Mensch stets – ich möchte fast sagen physisch – gegenwärtig, weil mit dem Erklingen seiner Musik viele Erinnerungen wach werden, seine unverwechselbare Stimme und seine Worte in meinem inneren Ohr klingen. Ich wünschte, er könnte hier und heute dabeisein und die Uraufführung der 2. Abteilung „Schönster Lieder“ miterleben, denn ich glaube, sie würden ihm gefallen, versuchte ich doch bei diesem Vokalzyklus, dessen Titel ja schon eine kleine Provokation in der Neuen-Musik-Szene darstellt, das zu verwirklichen, was auch ihn immer umtrieb: Schlichtheit und „kein Ton zuviel“, fast im Schubertschen Sinne! Diese 2007 entstandenen Texte sind schon selbst Musik und sie sind auf fast verstörende Art schön und mit dem heutigen Zeitgeist scheinbar nicht synchronisiert. Das macht sie so wertvoll, schimmert in ihnen doch etwas Wesentliches auf, das über alle Zeiten hinweg Bedeutung hat. Wilhelm Killmayer bezeichnete Günter Bialas auch einmal als einen nichtsynchronisierten Zeitgenossen, der die ihn umgebende Musik mit positivem Interesse aufnahm, aber überzeugt war, daß Komponieren die Sache eines Einzelnen ist, der von seiner Herkunft, seiner Kindheit, der Landschaft und von seinen Erfahrungen geprägt wurde, eines Einzelnen also, der nicht unbedingt synchronisierbar war mit einer Vorstellung von Zeitgeist, den andere zur Bedingung machten. – Zu meiner Kindheit gehört die frühe Begegnung mit Günter Bialas, seine Unabhängigkeit von Moden und seine Skepsis gegenüber Dogmen sind bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen. Meine eigenständige Position fand in Günter das leuchtende Vorbild. Die Landschaften und Naturbilder, die der Autor der „Schönsten Lieder“, Michael Donhauser, zu Liedern in Sätzen formt, sind gleichzeitig Seelenlandschaften, Natur und Mensch bilden hier im kunst-immanent romantischen Sinne eine untrennbare Einheit. Auch dies gehört zu den mir stets wichtig gebliebenen Erfahrungen als Mensch und Musiker: wir können unsere geistige Herkunft nicht verleugnen, und zu dieser Herkunft gehört bei mir unzweifelhaft die bewußte Lektüre von Eichendorff (wie bedeutend war er für Bialas!), Hölderlin, Rilke und Trakl, deren Geist ich auch immer wieder in den Texten von Michael Donhauser entdecke.
In Dankbarkeit und weiterhin großer Nähe und Verbundenheit möchte ich die heutige Uraufführung dem Andenken Günter Bialas’ widmen; die Nr. 38 ist ohnehin explizit ihm dediziert. Ihnen, den Juroren des Gedenk-Preises, möchte ich herzlich dafür danken, daß Sie nun mich mit diesem bedachten.
München, am 13. November 2013
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