Die Credo-Kompositionen von Michael Denhoff"In unum Deum" - Credo op. 93
Der "Gesprächskreis zu Fragen von Musik und Kirche" war 2000 auf der Suche nach einem Komponisten, der geneigt wäre, eine Komposition mit dem Nicaeno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis zu entwerfen – für eine nicht allzu große Besetzung, mit nicht übermäßigem Schwierigkeitsgrad und möglichst unter Beteiligung der Gottesdienstgemeinde. Die Wahl ist auf Michael Denhoff gefallen, und er hat – nach einigem verständlichen Zögern – zugestimmt.
Warum diese Fassung des Glaubensbekenntnisses? Warum Michael Denhoff?Das Nicaeno-konstantinopolitanische oder auch Große Credo ist, was immer es an Hypothesen über seine Entstehung geben mag, ein im Osten und Westen der christlichen Kirche seit dem 5. Jahrhundert n.Chr. rezipierter Text und wie das sog. Apostolische Glaubensbekenntnis trinitarisch – und das heißt auch dreiteilig – strukturiert. Zwei Merkmale haben den Text für einen Kompositionsauftrag besonders interessant gemacht: Er ist – mit gewissen Unterschieden – in allen christlichen Konfessionen verbreitet, und er ist eigentlich kein Lehrtext, keine Summe zu glaubender Sätze, sondern ein Hymnus, ein poetischer Text, der das Lob des dreifaltigen Gottes singen will. Nicht nur das Alter des Textes, sondern auch die Situation von Religion und Kirche in unserer Gesellschaft wie im Leben jedes Einzelnen erschweren das Einverständnis mit dem Text heute. Daher war der "Gesprächskreis" auf der Suche nach einem Komponisten, der heutige Schwierigkeiten mit den tradierten Vorstellungen des Textes, heutige Fragen an ihn musikalisch zur Sprache bringen sollte, und glaubte, diesen Komponisten in Michael Denhoff gefunden zu haben. Den Mitgliedern des Kreises waren eine ganze Reihe von Kompositionen und musikdramatischen Versuchen von Michael Denhoff bekannt, in denen dieser Komponist bedeutende literarische Vorlagen auf sensible Weise nicht vertont, sondern als Material, als Kontrapunkt, als Ausgangspunkt und als Öffnung des Klangraums einbezogen hatte.
Michael Denhoff hat es sich nicht leicht gemacht. Denhoff hat sich ganz offensichtlich durch den Auftrag, ein offizielles kirchliches Glaubensbekenntnis in Musik zu setzen, zu einer persönlichen Stellungnahme herausgefordert gefühlt: Was haben diese uns fern gerückten Vorstellungen und Texte des Credo mit dem Sinn unserer Lebens- und Welterfahrungen zu tun? Haben sie überhaupt noch etwas damit gemein? Können sie einer radikalen Infragestellung standhalten? Und auf das Subjekt angewendet: Was sperrt sich bei mir gegen diese Texte? Wie lese ich sie, nehme ich sie auf, verstehe ich sie? Denn auch der heutige Christ lebt in der Dialektik von Glauben und Zweifel, von Anfechtung und Vertrauen. Man ist versucht, zu sagen: Ich zweifle, weil ich glaube; ich glaube, weil ich zweifle. Dieser Situation der christlichen Glaubensformulierungen allgemein und des Credo speziell hat sich Michael Denhoff u. a. dadurch gestellt, dass er wichtige Texte bedeutender (im Wesentlichen) deutschsprachiger Literaten (Rose Ausländer, Paul Celan, Eva Zeller, Hilde Domin, Kurt Marti, Fernando Pessoa und Thomas Bernhard) mit den Credo-Formulierungen konfrontiert hat, sie dadurch kommentierend, neu beleuchtend oder vertiefend: Das alte Credo und die heutigen Gefährdungen des menschlichen Daseins stoßen zusammen und bilden überraschend und sich gegenseitig erschließend eine neue differenzierte Ganzheit.
Die Gemeinde kommt zu Wort.Das Glaubensbekenntnis ist kein Text für religiöse Virtuosen; es hat einen Platz im Gottesdienst und muss – zumindest prinzipiell – zustimmungsfähig bleiben. Michael Denhoff hat die Gemeinde – ganz abgesehen davon, dass das gemeinsame Hören seiner Komposition ja auch eine "gemeindliche" Aktivität ist – auf dreifache Weise unmittelbar und mittelbar an seiner Credo-Komposition beteiligt: Das Werk mit einer Dauer von insgesamt ca. 35 Minuten hat ein Vorspiel von musikalischem Gewicht, das immerhin nahezu 5 Minuten dauert, eine "Ouvertüre" also, besser: einen „Anweg“, bestehend aus leiser Musik hoher Streicher und Bläser, die einen großen melodischen, fast einstimmigen Bogen schlägt. Dazu oder darüber sollen an festgelegten Stellen aus dem Publikum bzw. von Chorsängern subjektive, evtl. auch spontane Glaubensformulierungen ausgerufen werden. Zwar enthält die Partitur textliche Vorgaben, die dem publizierten Credo-Projekt von PUBLIK-Forum entnommen sind. Denhoff hat aber ausdrücklich angemerkt, dass auch persönliche Glaubensbekenntnisse gesprochen werden können. Es ist vorgesehen, so räumlich möglich, dass die Stimmgruppen des Chors zunächst im Kirchenraum verteilt sind und, so gewissermaßen zunächst die Gemeinde vertretend, erst während des wiederholten Singens der Credo-Figur im Teil II, also nach dem Vorspiel, nach und nach ihre vorgesehenen Chorplätze einnehmen. Bei Aufführungen im Rahmen eines Wortgottesdienstes kann die Gemeinde auf Zeichen des Dirigenten im Teil II das "Wir glauben an den einen Gott" und am Schluss des Teiles XII das "Amen" mitsingen (vgl. Partitur S. VII).
Das Bekenntnis zur Kirche fehlt. Fehlt es?Michael Denhoff hat den Text "Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam. Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum", also das Bekenntnis zur einen, heiligen, katholischen, apostolischen Kirche und zur einen Sünden vergebenden Taufe, nicht komponiert. Er hat sich damit in die Reihe so mancher Komponisten in den letzten 200 Jahren – der bekannteste Messe- bzw. Credo-Komponist unter ihnen dürfte wohl F. Schubert sein – eingereiht, die dafür sehr unterschiedliche Gründe hatten. Denhoff fühlt sich diesen Kollegen und wohl auch ihren „Gründen“ verbunden – und das, obwohl ihm bewusst ist, dass einige dieser Kollegen zumindest theologischen Missverständen erlegen sind. Er wollte aber auch – Zahlenfreund, der er ist – die auf 12 Sätze angelegte Komposition nicht auf 13 Sätze ausweiten müssen. Daraus ist nicht zu schließen, Denhoffs Komposition ließe kirchliche Gesinnung vermissen. Die Art und Weise, wie er mit den Texten musikalisch verfährt, wie er heutige Gegenreden, aber auch Bekenntnisse einbezieht, wie er schließlich die Gemeinde unmittelbar – den Glauben bekennend am Beginn, mit Amen in das Lob einstimmend am Ende – im Werk und seinen Prozessen unmittelbar zu Wort kommen lässt, das verweist auf die gemeindlich-kirchlichen Grundintentionen der Komposition.
Vielgliedrigkeit und Einheitlichkeit durchdringen sich: Einheit in Vielfalt.Vielleicht nicht in Konzertsälen, wohl aber in Kirchen wird die hörende Gemeinde "zwischen" der Musik des Credo sitzen: Während die Orgel in der Regel von hinten erklingt, singen und spielen Solisten, Chor und Instrumentalisten (15-stimmig) von vorne. Sie sollen, damit auch optisch unterstrichen wird, was zentrale Stellen der Texte artikulieren, durch ihre Aufstellung (evtl. sogar unter Einbezug der Orgel) ein Kreuz bilden (vgl. Partitur S. VII).
Schafft schon diese Aufstellung der Sänger und Instrumentalisten eine von den Inhalten des Credo bestimmte optische Konzentration, so hat die Einheitlichkeit der Komposition angesichts der großen Vielfältigkeit ihrer Elemente ihre Wurzel in einer allen Teilen zu Grunde liegenden musikalischen Formel, die – als Formel – eine bestimmende Rolle im Werk spielt, aus der zugleich aber auch das ganze Material der Komposition entwickelt wurde. Sie ist musikalisch wie intentional von allergrößter Bedeutung.
Die Formel besteht aus 7 Tönen, die den 7 Silben des Beginns des lateinischen Credo-Textes entsprechen (Cre-do in u-num De-um) und gleichzeitig die Vollkommenheitssymbolik dieser Zahl einbeziehen. Die Töne der Formel sind 7 aufeinander getürmte Quinten, die nun (beinahe) in eine Oktave eingebunden sind: Zwei sehr ähnliche Dreiergruppen "kreisen" um den tiefsten Ton fis. Sie bilden in ihrer Mitte, wo sich letzter Ton der ersten Dreiergruppe und erster Ton der zweiten Dreiergruppe, verbunden durch das fis, gewissermaßen "die Hand reichen", eine weitere Dreiergruppe. Drei Dreiergruppen als musikalisches "Bild" des einen Gottes – wer dächte da nicht an den dreieinen Gott und an die trinitarische Struktur des Credo? Den Gedanken der radikalen (dreifaltigen) Einheit Gottes, die christlich interkonfessionell und ökumenisch unumstritten ist, und seine musikalische Repräsentation hat Michael Denhoff weiter gedacht und geöffnet hin auf eine interreligiöse Übereinstimmung zumindest der abrahamiten Religionen, die unter verschiedenen Namen und Bildern letztlich den einen und einzigen Gott anbeten, seien sie nun Juden, Christen oder Muslime. Musik mag da die einzige adäquate "Sprache" sein, um letztlich Unaussprechliches und Unabbildbares schaudernd, ehrfürchtig, freudig auszudrücken. Mit der von Denhoff für dieses Werk "In unum Deum" entwickelten Formel erreicht der Komponist ein Doppeltes: Dadurch, dass die Formel auf verschiedene Weise das ganze Werk durchzieht, hat er der Komposition einerseits eine große musikalische Geschlossenheit und Kompaktheit verliehen, die dennoch nicht ermüdet, weil sie gleichzeitig große innere Differenziertheit und Komplexität ermöglicht. Andererseits unterstreicht er mit der Art der Formel und dem Umgang mit ihr den inhaltlichen Skopus, mit dem er das Werk prägen wollte: die tiefe Einheitlichkeit der Gottesidee, die der inneren Differenziertheit aller Gottesbilder, Gottesnamen und Gottestraditionen zu Grunde liegt und die eine Antwort zu sein vermag auf die sehnsüchtige Frage des Menschen nach dem Sinn seiner Existenz, nach dem Sinn seiner Welterfahrung.
I. Credo 1Das Werk, das die Widmung „an den einen Gott“ trägt, setzt mit einem kurzen Schlagzeug-Akzent ein, beginnt dann aber sogleich mit einem leisen hellen Vorspiel, das bereits aus Material der alles bestimmenden Formel besteht, und den aus dem „Off“ erklingenden subjektiven Bekenntnissen, von je 5 Männer- und Frauenstimmen gesprochen (vgl. oben). Der Teil mündet in den vom Bariton-Solisten wie in gregorianischem Choral vorgetragenen Eröffnungsruf „Credo in unum Deum“, der aus der 7-tönigen Formel besteht, die hier zum erstenmal als solche hörbar wird.
II. In unum DeumSoli und der 4-stimmige Chor singen – auch hier fällt die Gregorianik-Nähe auf – den Beginn des lateinischen Credo, aber auch griechische, russische, hebräische (jüdische) und arabische (muslimische) Bekenntnisse zum einen Gott, in die schließlich auch die Gemeinde einstimmen kann. Während sich die Chorsänger zum vorgesehenen Aufstellungsort des Chors hinbewegen, kann vereinzelt das Wort „Gott“ in verschiedenen Sprachen in die Musik hineingerufen werden.
III. Patrem omnipotentemIm forte hebt das Bekenntnis zum Schöpfer an, geht aber ins piano über und verändert auch die „Gangart“, sobald von Gott als dem Schöpfer auch der unsichtbaren Dinge die Rede ist.
IV. Credo 2Mit einem wunderbaren Text von Rose Ausländer wird in diesem 4. Satz durch die Sopran-Solistin sehr leise der Glaube des Menschen an die Tiefe der Welt und des Lebens, ja, letztlich an die Tiefe des Menschen selbst, ausgedrückt. Der Frauenchor pflichtet seiner „Sprecherin“ 2-stimmig mit „Credo“ („Ja, das glauben wir.“) bei.
V. Et in unum DominumDer Glaube an den Gottessohn Jesus Christus wird klanglich von unten nach oben aufgebaut. Was zuerst in rhythmischer Verschränkung erklingt, geht später akkordisch-homophon weiter, dann erneut verschoben, ehe „omnia facta sunt“ fast beklommen fragend endet.
VI. Et incarnatus „Die Menschwerdung des Gottessohnes um unseretwillen“ setzt mit scharfen Trommel-Akzenten ein, hat insgesamt aber freudig-bekräftigenden Charakter und endet bei „et homo factus est“ mit einem sforzato, das freilich mit einem nachklingenden Glockenspiel verhallt.
VII. Tenebrae Der Bariton-Solist befragt nach forte-Akzenten über deutlich zögernden Streicher-Figuren in einem hochexpressiv gezackten Solo mit Worten von Paul Celan scheinbare gläubige Gewissheiten über das Menschsein des Gottessohnes. Zweimal bewegt sich gerade bei den Worten „wir sind nah“ die Stimme des Sängers weit weg, als wolle er das, was er singt, „ausradieren“.
VIII. Crucificus Sforzati markieren gewissermaßen die Hammerschläge der Kreuzigung. Wie an manchen anderen Stellen der Komposition, so zitiert der Komponist auch hier musikalische Traditionen: Nicht nur rhythmisch und melodisch wird das Crucificus der h-moll-Messe von J. S. Bach hörbar; vielmehr bedient sich Denhoff geradezu barocker Praktiken, indem er Stimm-Kreuzungen einsetzt – ohne zu verleugnen, dass die Komposition zwischen 2001 und 2003 entstanden ist. Eingeschoben in den „Crucificus“-Gesang des Chores sind Worte von Eva Zeller, die die Gesangssolisten im Duett vortragen: Gerade das Leidensantlitz Christi macht ihn den Menschen gleich, lässt die leidenden Menschen aber auch Christus ähnlich werden. Zum abschließenden Text über Leiden und Begräbnis Jesu erklingt im Sopran-Solo – am Ende unbegleitet – ein Text von Hilde Domin, der dem Leidensweg Jesu deswegen erlösenden Charakter beimisst, weil er im Leid bis in die ganze Tiefe seiner Existenz ein den Menschen zugewandter Mensch geworden ist.
IX. ResurrexitMusikalisch und emotional ist dieser leise, träumerisch schwebende, tastende, das Gesungene selbst nicht recht glauben wollende reine a-cappella-Satz wohl der innerliche Höhepunkt der Komposition.
X. Das leere GrabZu Seufzerklängen ertönt durch den Bariton-Solisten in einer Art Trauer-Ode (in einem 2-3-2 Rhythmus) ein Text von Kurt Marti, der jedoch, als er gegen Ende vom „Vorsprung Leben“ redet, von Flöte und Klarinette erhellt wird.
XI. Et in spiritum sanctumFast minimalistisch und instrumental gedacht (und erneut in einem 2-3-2-Rhythmus) begleitet zunächst der Chor-Sopran, später der Chor-Bass die im Vergleich zur Begleitung nur halb so schnell notierten Aussagen über den Glauben an den Heiligen Geist in den drei übrigen Stimmen.
XII. Et exspectoDer Schluss-Satz und seine große Steigerung ist insgesamt durch Glockenklänge geprägt: durch die Röhrenglocken, aber auch durch eine glockenartige kompakt-akkordische Behandlung der Instrumental- wie der Chor-Stimmen. Ungebrochen ist auch dieser Hymnus nicht: Der Bariton-Solist erinnert uns mit Worten von Paul Celan aus der „Niemandsrose“ daran, dass Gott, wenn es ihn denn gibt, ein dunkles Geheimnis ist und bleibt, und dass gerade seine Unbeschreiblichkeit seine Göttlichkeit kennzeichnet. Verstärkt wird diese Tendenz durch Verweise auf die Todesverfallenheit der menschlichen Existenz mit mehr oder weniger gleichzeitig gesprochenen Texten von Sándor Márai, Fernando Pessoa und – Wolfgang Amadeus Mozart (Brief aus Wien an den Vater vom 4.IV.1787). Er erklingt an Stelle eines Textes von Thomas Bernhard (aus „In hora mortis“), dessen Verwendung die Erben untersagt haben. M. Denhoff hat in der Partitur vermerkt, dass der Text von Bernhard an dieser Stelle gesprochen werden soll, sobald die Nutzungsrechte es erlauben. In den hymnischen Schluss und sein Fis-Dur-Amen, dessen Leuchtkraft durch das dieser Tonart fremde gis nur minimal eingetrübt ist, fällt auch die Gemeinde zustimmend und bekräftigend ein.
Die Komposition erreicht ihre Wirkung aus der Stille. Es fällt auf, wie gut in diesem Werk der lateinische Text des Credo über weite Strecken verständlich ist. Das liegt daran, dass die Chorpartien - ihnen ist das Credo zugewiesen – über weite Strecken diatonisch-tonal gehalten sind. Die Partien der Solisten, die sehr viel subjektiver und expressiver gestaltet sind, und die Texte, die in ihnen verarbeitet sind, sind heutiger, neuer und chromatisch reicher. Das Werk erreicht seine Wirkung beim Hörer zweifellos durch seine bezwingende Musik, aber auch durch den hohen Anspruch, den die Fremdtexte als solche und in ihrem „Zusammenstoß“ mit dem lateinischen (objektiven) Credo-Text erheben. Es entwickelt sich beim Hörer Bestärkung im zweifelnden Glauben und im glaubenden Zweifel – wie Licht, dessen Leuchtkraft erst durch Schatten und Schwärze zum Strahlen gebracht wird. Ein bestimmtes Element des Werkes, das beim Hören erst allmählich bewusst wird, prägt sich ein: Alle Sätze, die nicht ineinander übergehen – und das sind die wenigsten – haben Nachklänge. Nach dem „offiziellen“ Ende dessen, was hier ausgedrückt werden soll, bleibt ein Klang wie vergessen stehen, liegen, bewegt das bündig Gesagte wieder ins Offene, stellt in Frage, bleibt nicht bei der Affirmation stehen, traut der sprachlosen Musik mehr als dem abschließenden Wort oder Akkord. Auch am Schluss, nach dem Schluss ist das so: Etwas klingt nach, weist in die Stille, mündet ins Unsagbare. Die geheimen Kräfte der Komposition scheinen letztlich hier ihre Wurzel zu haben.
Credo op. 93 aDie ca. 15-minütige a-cappella-Komposition des lateinischen Textes des Nicaeno-konstantino-politanischen Glaubensbekenntnisses war kein Teil des Auftrags des „Gesprächskreises zu Fragen von Musik und Kirche“. Sie ist mehr oder weniger spontan während der Arbeit an „In unum Deum“ entstanden. Zwar handelt es sich um die nur wenig veränderten Chorsätze der Komposition „In unum Deum“ op. 93; es fehlen gegenüber der großen Komposition die Instrumente, die Solisten mit ihren Fremdtexten, die Gemeindebeteiligung und die subjektiven Credo-Formulierungen, also das ganze Fluidum des großen Werks. Dennoch ginge man fehl in der Annahme, dies sei nichts als eine reduzierte Fassung für einfachere musikalische (und finanzielle) Verhältnisse. Vielmehr ist es dem Komponisten gelungen, auch diesem Werk sein ganz eigenes Gepräge zu verleihen. Möglicherweise gewinnt es gerade seine Intensität aus dem geringeren Aufwand der Mittel, möglicherweise zeigt sich die Neuheit und Interessantheit der Denhoff’schen Schreibweise noch plastischer unter dem doch eigentlich „konservativeren“ Mantel. Die Komposition erklingt sehr sillabisch-textnah, „trocken“ (à la Strawinsky-Messe) und dennoch klangvoll, ja klangschön (wenn das nicht klangmalerisch missverstanden wird). Weil ihr die starke Betonung der Einheit des Gottesgedankens schon aufgrund der Besetzung fehlt, sie vielmehr die Dreier-Struktur des Credo traditionsbewusst nachzeichnet, hat sie auch nicht einen Titel wie die große Schwester (und auch keine Widmung), sondern heißt „Credo“. Was zu den Chorpartien von op. 93 gesagt worden ist, gilt auch für op. 93 a. Der VII. Satz „Et unam sanctam catholicam“ musikalisiert den Text, dessen Komposition in op. 93 unterblieben ist. Er gibt sich weitgehend homophon, weist aber klanglich starke Reibungen auf: Ohne kritische Stimmen und „unerwünschte Nebengeräusche“ ist die Zustimmung zur Kirchlichkeit der Kirche (so wie sie nun einmal ist und geworden ist) nicht mehr zu erlangen. Der VIII. Satz ist der Schluss-Satz, der in dieser Fassung stiller ausgefallen und stärker aufs Eigentliche konzentriert ist, als der aufwändige Schluss-Satz von op. 93. Er wird mit einem 10-stimmigen „Amen“ - ohne Gemeinde - beschlossen.
© 2004 Joachim HertenEingabe ins Internet mit freundlicher Genehmigung des Autors
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