Drei Fragen an… Michael Denhoff
(1) Herr Denhoff, der aus 80 Gedichten bestehende Zyklus „Atemwende“ von Paul Celan gibt einem der Konzerte „Wie sich die Zeit verzweigt“ den Titel, und natürlich erklingt in diesem Programm auch eines der Stücke aus Ihrem monumentalen, siebenteiligen Klavierzyklus gleichen Namens, der überwiegend in Bonn und Rom entstanden ist. Falls Sie „aus der Schule plaudern“ möchten: Wie haben Sie damals die Gedichte ausgewählt, und wie wird aus einem zehnzeiligen Gedicht ein zehnminütiges Klavierstück?
Die Gedichte von Paul Celan haben mich schon als 16-jähriger Schüler magisch angezogen! Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, daß es eben nicht die berühmte (und seinerzeit auch Schullektüre gewesene) „Todesfuge“ war, die mich in den Bann dieses Autors zog! Es waren die Wortschöpfungen, die Bildhaftigkeit der Sprache, von denen ein ganz besonderer Sog ausging, und nicht zuletzt von der Musikalität seines dichterischen Tonfalls – der das Psalmodierende nicht meidet – war ich zutiefst beeindruckt. Ja, und es war auch das scheinbar Enigmatische / Hermetische, das diese Wirkung auf mich ausübte. Und vielleicht könnte / müßte ich sagen, mein abendfüllender Zyklus zu sieben ausgewählten Gedichten aus „Atemwende“ sind auch der Versuch gewesen, mir diese Texte mit meinen (damaligen) kompositorischen Mitteln zu erschließen, zu verstehen, zu begreifen.
Ein kurzes Gedicht kann durchaus den Impuls zu einer längeren Musikstück auslösen: bei der Transposition in ein andere künstlerische Sprache wird ja nicht Text illustriert oder akustisch bebildert, vielmehr ist / wird die emotionale Temperatur eines Augenblicks, eines Atemzugs usw. in die Zeit der Klänge gedehnt. Seinerzeit habe ich mich bei der Auswahl der Gedichte wohl davon treiben lassen, welche schon gleich bei erster Lektüre innere Klänge evozierten … und ich wollte die symbolhafte (auch für Celan so wichtige) Siebenzahl erreichen.
Vielleicht darf ich hier sogar darauf hinweisen, daß im vergangenen „Celan-Jahr“ 2020 (100. Geburtstag. / 50. Todestag) der Dichter Theo Breuer durch das mehrfache Hören meines siebenteiligen Klavierzyklus’ Atemwende den entscheidenden Impuls zu seinem großen Wortpoem „nicht weniger nicht mehr“ *) erhielt, welches auf höchst ungewöhnliche Weise eine bemerkenswerte Hommage an Celan geworden ist; auch in diesem Poem spielt die Zahl sieben in vielfältiger Hinsicht eine zentrale gestalterische Rolle. Der musikalische Impuls, den ich durch Celan erhielt, wurde nun also ein weiteres Mal weitergereicht und führt uns Hörer / Leser wieder zurück zur Sprache … und gleichzeitig auch zu Celan!
(2) In Ihrer Bonner Konzertreihe „Wortklangraum“ konzipieren Sie auf äußerst subtile Weise Programme, die unter adjektivischer Überschrift („traumhaft“, „weiträumig“, „vital“ etc.) Kompositionen und Texte aufeinander beziehen. Trifft die Vermutung zu, dass Sie ein ebenso enzyklopädischer Literaturkenner wie Musikkenner sind, und was sind Ihre Lieblingsschriftsteller, insbesondere diejenigen jüdischer Herkunft?
Ja, ich kenne viel Musik, war schon als Kind stets sehr neugierig auf noch Unbekanntes, und habe auch unendlich / unübersichtlich viel gelesen. Als Kenner (& leidenschaftlich Neugierigen bis heute) darf man mich wohl auf beiden Gebieten nennen. Ob man meine Kenntnisse allerdings enzyklopädisch bezeichnen darf / könnte / sollte? … ich weiß es nicht … Die Bonner Reihe „Wortklangraum“ profitiert sicherlich von meiner fast gleichwertigen Neigung zur Musik & Literatur! Es sollen dort zu einem gewählten Motto Synapsen entstehen zwischen dem, was erklingt, sowohl in Worten als auch in Tönen. Und obwohl fast ausschließlich neue Musik und Literatur im Focus stehen, ist das Publikum kein Spezialistenpublikum für Neue Musik! Die Zuhörer erleben das als Gesamtkomposition, die immer wieder überraschende Erkenntnisse ermöglicht, und in der Wechselwirkung spannende Horizonte öffnet.
Lieblingsschriftsteller? – oh, so viele! Wenn ich nur einige mir besonders wichtige nennen soll, so wären es u.a. diese: Eichendorff, Kafka, Benjamin, Rilke, Celan, Mallarmé, Canetti, Beckett, Marai, Pessoa, Borges, Gomez de la Serna, Ausländer, Bernhard, Enzensberger, Handke … und neben den darunter schon genannten jüdischen Autoren zudem auch das schmale Werk der Selma Meerbaum-Eisinger, die wie Celan aus Czernowitz stammte und 1942 mit 18 Jahren entkräftet in einem jüdischen Zwangsarbeitslager starb; von ihren durch einen Glücksfall erhaltenen Gedichten habe ich einige vertont.
(3) In der genannten Bonner Reihe soll im Dezember 2021 mit der 100. Veranstaltung „Schluss“ sein – für die Liebhaber durchdachter Programme sicher bedauerlich. Haben Sie Nachfolge-Ideen, über die Sie schon reden mögen, oder verliert man als Veranstalter bzw. Dramaturg in immer noch „coronösen“ Zeiten allmählich die Lust?
Ich denke, es ist immer besser, aufzuhören, bevor die Leute denken: ach, gibt es die Reihe immer noch? Besser die Aussage: bedauerlich, daß nun vorbei. Aber ganz unabhängig davon: ich hatte seinerzeit beim 50. Abend weitere 50 versprochen, nicht ahnend, ob ich das auch durchhalten würde. Nun sind wir tatsächlich fast am Ziel der 100. Ausgabe (unter dem fast zwingenden Motto „final“) angekommen und ich denke, dies ist eine gute runde Zahl – und damit auch ein gutes Ende erreicht. Die sog. Corona-Krise hat dazu beigetragen, daß wir nun nicht schon am 2. Juni das Ziel erreicht hatten (wie es unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre), sondern es doch noch bis Ende des Jahres weiter geht. – Die „Lust“ auf gute & überlegte Programme hat mir die Corona-Krise nicht nehmen können, wenngleich mich die verschattete Zeit des ewigen Lockdowns zugegebenermaßen künstlerisch nicht wirklich beflügelt hat. Aber – das sei hier schon angedeutet – es soll / wird wohl ein Nachfolge-Format geben, bei dem ebenfalls der spartenübergreifende Dialog eine Rolle spielen wird, allerdings nicht allein konzentriert auf Musik & Literatur. - Und ich hoffe sehr, daß wir werden zurückfinden können zu einem freien, offenen, kreativen und gegenseitig inspirierenden Dialog … uneingeschränkt von politischen Vorgaben … Wir sollten uns im Leben mehr leiten und anregen lassen von künstlerischen Impulsen, als uns dem Diktat ängstlich virologischer Vorsicht unterzuordnen!
*) Theo Breuer, „nicht weniger nicht mehr“, Gedichte Pop-Verlag, Reihe Lyrik Bd. 151, 133 Seiten, ISBN 978-3-86356-317-2, €14,50 ( https://wp.pop-verlag.com/?p=5498 )
(erschienen im Programmbuch „Wie sich die Zeit verzweigt“, Konzertreihe anläßlich des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – 5. September bis 12. Dezember 2021 in Bochum – Gelsenkirchen – Recklinghausen)
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