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Für Schau ins Blau – Eine Zeitschrift für Literatur, Kunst und Wissenschaft (www.schauinsblau.de)

stellte Jasmin Hentschel einige Fragen an den Komponisten Michael Denhoff zu seinem „Mallarme-Zyklus“ – zwölf Quartett für zwölf Musiker op. 75

 

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Stéphane Mallarmés „Un coup de dés ...“ gruppiert und verstreut einzelne Wörter und Wortgruppen im Raum des weißen Blattes Papier. Davon sind einige hervorgehoben, manche fallen durch ihre Wiederholung auf. Herr Denhoff, die Quartette Ihres Mallarmé-Zyklus' orientieren sich an einigen dieser Wort(gruppen). Wie kamen Sie zu der Auswahl, die Sie für Ihre Quartette getroffen haben?

 

Die Auswahl geschah völlig intuitiv und ohne die Absicht, möglicherweise wichtige Wortgruppen zu berücksichtigen. Es waren vielmehr die Worte und Wörter, die sich in irgendeiner Weise nach der vielfachen Lektüre des Textes in meinem Hirn festgesetzt hatten, deren Rätselhaftigkeit ich mir in einer musikalischen Annäherung in gewisser Weise zu entschlüsseln erhoffte.

 

Das weiße Papier scheint mir ganz wichtig, es ist der Raum, den diese verstreuten Wörter benötigen und den sie auch mit Sinn und Bedeutung füllen. Diese elf Doppelseiten sind wie eine Partitur, in der verschieden Stimmen in die weiße Stille hinein miteinander kommunizieren.

 

 

„Un coup de des ...“ bezieht seine Wirkung aus seiner Form. Die Schriftzeichen sind von unterschiedlicher Größe und Schriftart und stehen in unregelhaften Bezügen zueinander. Wie drücken Sie diese Wirkung mit den Mitteln der Musik aus?

 

Es gibt auch zwischen den zwölf Quartetten unterirdische Verbindungslinien und musikalische Bezüge vielerlei Art. Manche Quartette sind ganz licht in ihrer kompositorischen Textur, andere hingegen dichter und komplexer.

Bei Mallermés Text ergeben sich teilweise fast vexatorische Elemente in der graphischen Verteilung. Auch in meiner Partitur könnte man solche Elemente erkennen.

 

Dennoch bleibt wichtig: die Musik will keine akustische Bebilderung des Textes sein, sondern sie greift einzelne Konfigurationen heraus und versucht in dieser Form sezierenden Herantastens, dennoch das Ganze zu imaginieren.

 

 

Welchen Raum gibt es für den Zufall in der Musik? In Ihrem Werk?

 

Ich wünsche mir, daß vor einer zyklischen Aufführung der zwölf Quartette deren Anordnung symbolisch durch einen Würfelwurf ermittelt wird. Dabei gibt es den Würfelzahlen entsprechend sechs verschiedene Möglichkeiten. Somit wird der zyklische Spannungsbogen in den Instrumentalfarben und den Dichtegraden der zwölf Quartette jedes Mal ein anderer sein. Dies entspricht durchaus auch dem Lesevorgang, der bei „Un coup de dés“ kein linearer sein kann.

Das lesende Auge muß sich seinen Weg durch das Labyrinth der Wörter hin- und herspringend jedesmal erneut suchen; ein Er-lesen im emphatischen Sinne!

 

Übrigens sind die zwölf Quartette auch nicht in ihrer numerischen Folge entstanden, sondern eher dem Zufall folgend, wie sich die Klänge zu den einzelnen Wortgruppen einstellten.

Bei der numerischen Anordnung tritt bei jedem Quartett ein Instrument (Musiker) ab und ein neues kommt hinzu, somit gibt es einen fließenden kreisförmigen Klangfarbwechsel. 

 

 

Die Pointe des „Würfelwurfs“ ist die Aussage: „Nichts wird stattgefunden haben als die Stätte, außer vielleicht eine Konstellation.“ Wie hat diese Aussage Ihre Komposition beeinflusst?

 

Musik ist wohl die flüchtigste aller Künste, kaum erklungen entschwindet sie uns schon wieder.

Und doch hat Klang stattgefunden, es bleibt uns nur eine vom inneren Ohr im Nachhinein wieder zusammengeführte  und –gefügte Gestalt oder auch „Konstellation“, die aber bei jedem Hörer je nach Konzentration beim vorherigen Lauschen unterschiedlich und ganz individuell ausfällt. Insofern scheint mir Mallermé hier sehr „musikalisch“ zu denken.

 

Ich glaube allerdings, die zentrale Aussage ist die der typographisch größten Wörter, die über die elf Doppelseiten verteilt sind: „Auch ein Würfelwurf bringt den Zufall nicht zu Fall“ – eine scheinbare Paradoxie. Alles andere sind Seitengedanken und Parenthesen, die sich auf vielfältige Art und Weise auf diesen zentralen Satz beziehen. An anderer Stelle (in „Igitur“) schreibt Mallarmé, daß der Akt des Würfelwurfes seine eigene Idee vollbringt.

 

 

1997 betonten Sie den Annäherungscharakter Ihres Mallarmé-Zyklus' und dachten über einen ergänzenden Zyklus nach. Wie sehen Sie das heute?

 

Noch immer besteht mein Wunsch, der „zyklischen Umkreisung“ in zwölf rein instrumentalen Annäherungen an diese grandiose Wort-Partitur nachträglich das eigentliche, bisher nur visionäre musikalische „Zentralgestirn“ zu geben, nämlich eine auch gesungene und instrumental größer besetzte „Vertonung“. Gleichwohl ist mit bewußt, daß es letztlich keine finale Auseinandersetzung mit diesem Text geben kann, seine Ränder bleiben offen, die möglichen Lesarten sind so vielfältig, daß ich vermutlich – hätte ich mittlerweile diese angedachte Vertonung komponiert – heute einen noch wieder anderen Weg durch diesen Text nehmen würde, wollte ich als Musiker erneut auf ihn zugehen.

 

 

Welche Nachwirkungen hat die Beschäftigung mit Mallarmé rückblickend für Sie? Haben Sie heute eine andere „Sicht“ auf den Himmel und die Gestirne?

 

Wichtigste Nachwirkungen der eingehenden Beschäftigung mit Mallarmés Dichtung auf meine Musik scheinen mir zu sein, daß ich mittlerweile Mehrdeutigkeiten zulasse, verschiedene Gestalten von bedingt offenen Formen wähle und nicht zuletzt die Transparenz in den kompositorischen Texturen nachfolgender Werke.

 

Mallarmés Texte – und insbesondere „Un coup de dés …“ – sind manchmal so rätselhaft in ihrer Erscheinung wie das unendliche Universum. Auch schon für den jungen Mallarmé selbst war Poesie etwas Geheimnisvolles, das man nicht erklären kann. Er beschrieb sie in seinem Artikel „Hérésies artistiques. L’art pour tous” als ein nur den Religionen vergleichbares Mysterium.

 

Himmel und Gestirne kann ich mit astronomischem Wissen betrachten, aber doch neige auch ich dazu, nicht minder die poetische Sicht zu wählen und zu staunen, wenn ich beispielsweise bei sternenklarer Nacht in den Himmel schaue und die weite Stille um mich herum erlebe.

 

 

Eine einfache Frage für den Schluss: Wie klingt für Sie ein Schwarzes Loch?

 

Wenn dies eine einfache Frage sein soll, frage ich mich, was wäre für Sie denn eine schwierige Frage? -

 

Mit ganz bescheidenem Anspruch habe ich mir vor einigen Jahren zumindest einmal die Frage gestellt: wie klingt ein Loch in der Musik?, denn zu dieser hatte mich ein befreundeter Bildhauer angeregt.

Immer wieder hatte er sich in seinen Skulpturen dem Problem zu nähern versucht, wie mit bildhauerischen Mitteln ein Loch darzustellen wäre. Es kann ja nicht einfach nur eine Aussparung von Material oder in der Musik eine Pause im Erklingenden sein.

 

Wir wissen und erfahren natürlich, z. B. beim Hören der großen Generalpausen in irgendeiner Bruckner-Symphonie, daß in dieser Pause nur scheinbare Stille herrscht, daß durch die kulminierende Steigerung zuvor dieses „Nichtklingen“ energetisch extrem aufgeladen ist und in dieser Pause, der Unterbrechung im musikalischen Fluß, nicht etwa nichts klingt, sondern vielmehr dieses Nichts klingt, und dabei möglicherweise noch intensiver tönt als das zuvor real Erklungene.

Ja, vielleicht ahnte Bruckner, schon lange bevor wir von einem astronomischen Objekt mit dem Namen „Schwarzes Loch“ erfuhren, etwas von dessen extrem starker Gravitation … seine Musik scheint es nahezulegen …

 

Ich widmete im Jahr 2002 meinem Bildhauerfreund Wolfgang Ueberhorst ein Klavierstück (… al niente … op. 95), das aus sieben verschiedenen Gestalten entwickelt ist, die sich jeweils auf sieben verschiedene Arten verkürzend und nach und nach letztlich ganz verschwindend wiederholen: in klingendes Auslöschen, ein sich stets veränderndes Erinnern und Vergessen. Zurück bleibt das nachklingende Nichts, dem sich die Klänge immer mehr nähern…

Das, was fehlt, das, was nicht mehr da ist, bleibt bei diesem Prozeß des Verschwindens aber da, gewinnt eine imaginäre Materialität jenseits des reell Erklingenden. Es geht also auch um die Wahrnehmung beim Hören und Lauschen in diesem Stück, das in seiner sehr zurückgenommenen Außengestalt damit der Innengestalt neue Bedeutung und Inhalt zuspielt.

 

Ansonsten fällt es mir schwer, den „Sound“ eines sogenannten „Schwarzen Loches“ zu imaginieren, dieser könnte ohnehin nicht von irdischer Klanglichkeit sein.

 

 

 

Michael Denhoff, im Juni 2013

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