Denhoffs Magnificat im Dom
"Festlich-tumultös"
Bistum. Es ist wie im Paradies: Maria besingt eine Welt, in der die Menschen Gottes Gnade empfangen, in der die Mächtigen ihre Macht verlieren und die Armen den Vorzug vor den Reichen haben. Michael Denhoff sieht in dieser Verkündigung geradezu "einen Gegenentwurf zum Kreuz", einen der elementaren Texte des christlichen Glaubens; und er hat darum den Auftrag des Bistums Münster, den Lobgesang Marias zu vertonen, mit besonderer Freude angenommen. Sein Magnificat wurde am Sonntag (11.06.2006) im St.-Paulus-Dom in Münster uraufgeführt. Der Text ist nur im Lukasevangelium überliefert (Kap.1, 46-55): Maria besucht ihre Verwandte Elisabeth, und sie wird von ihr als die "Mutter des Herrn" begrüßt. Daraufhin stimmt Maria den Lobgesang an: "Meine Seele preist die Größe des Herrn" – "Magnificat anima mea Dominum". Das Magnificat wurde eines der ältesten Stundengebete; in der Vesper wird es wie ein alttestamentarischer Psalm behandelt. Kaum ein anderer geistlicher Text, das Ordinarium Missae ausgenommen, wurde so oft vertont wie dieser Lobgesang. Allein Orlando di Lasso soll über 100 Magnificats komponiert haben, die Vertonungen von Johann Sebastian Bach und Antonio Vivaldi sind sicher die bekanntesten ihrer Art. Michael Denhoff, Bonner Musiker mit westfälischen Wurzeln (er wurde 1955 in Ahaus geboren), ist nach eigenen Worten bis vor wenigen Jahren "als Komponist von Kirchenmusik nicht aufgefallen". Für den ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin schuf er ein viel beachtetes "Credo", das ihm den Auftrag aus Münster einbrachte, für das Bistumsjubiläum ein Magnificat zu schreiben. Die Uraufführung war für den 3.April 2005 vorgesehen, dem Komponisten blieben nur wenige Monate intensiver Arbeit.
Verschobene Uraufführung
Doch die Aufführung kam nicht zustande. Der Tod von Papst Johannes Paul II. und das dichte Programm des Jubiläums ließen es sinnvoll erscheinen, das neue Werk ein Jahr später erklingen zu lassen: Deshalb fand die Uraufführung jetzt während der Vesper im münsterschen Dom statt, eine Voraufführung erklang bereits tags zuvor im Kreuzgang des Doms, wo Domkapellmeister Andreas Bollendorf mit Denhoffs Magnificat die neue Reihe der "Kreuzgangkonzerte" eröffnete. Michael Denhoff ist beides recht: Sein Magnificat ist sowohl für die Liturgie als auch für den Konzertsaal bestimmt, betont der Komponist. Für den liturgischen Gebrauch muss es allerdings eine Bedingung erfüllen: Die Gemeinde soll mitsingen können, aktiv beteiligt sein. Keine ganz einfache Aufgabe für den Komponisten einer komplexen, zeitgemäßen Musiksprache, die sich nicht auf Anhieb so leicht erschließt wie etwa ein Bachchoral. Zumal in einem Werk, das mit gemischtem Chor, acht Vokalsolisten, vier Saxofonen, Schlagzeug und Orgel ausgesprochen vielgestaltig besetzt ist. Die Lösung: Denhoff umgibt das eigentliche Magnificat mit zwei Antiphonen, also einem Vor- und Nachspiel, in die ein leicht zu erfassender Gemeindegesang einkomponiert ist; sie werden vor der Aufführung mit dem Chor zusammen eingeübt. Zu Beginn steht die Eröffnung (Kolosser 1,27) "Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit", komponiert in fünf Ganztönen (den schwarzen Tasten des Klaviers), zum Abschluss erklingen die Dankverse "Wir danken Gott dafür, dass ihr sein Wort angenommen habt" (Thessalonicher 2,13) in der diatonischen Tonleiter (den weißen Tasten des Klaviers): Damit hat der Komponist alle Halbtöne einer Oktave erfasst, zwölf nämlich, die heilige Zahl.
Unmittelbare Wirkung
Die Antiphonen setzen sich deutlich vom eigentlichen Lobgesang Marias ab. Ihre Mittel sind bescheidener, die Wirkung unmittelbarer: Bei der Voraufführung im akustisch starken Kreuzgang überwältigte der brausende Gemeindegesang sogar die feine musikalische Struktur, so sehr sich Dirigent Andreas Bollendorf auch um deutliche Einsätze bemühte. Das war immerhin sehr authentisch, im Gottesdienst geht es schließlich nicht anders zu. Das Magnificat selbst ist eine Sache für Profis. Für zwei erstklassige Vokalquartette aus Frauenstimmen (Annette Walaschewski, Lili König, Annette Kleine, Birgit Schmickler) und Männerstimmen (Jens Zumbült, Andreas Scholz, Clemens Breitschaft, Michael Nonhoff), die ebenso wie die beiden Schlagzeuger-Paare (Armin Weigert, Audrey Lehrke, Ralf Bachmann, Jie-Goo Lee) weit im Hintergrund verteilt waren, um einen Raumklang zu erzeugen. Vor allem aber wird der Text vom 24-köpfigen, hervorragend vorbereiteten Kammerchor der Dommusik getragen, der vom Kelly-Saxophonquartett und Domorganist Thomas Schmitz mit sehr beweglichen Orgelklängen unterstützt wird. Die Textvertonung ist sehr plastisch und bietet dem Verständnis keinerlei Probleme. Das Magnificat hebt an mit einem ruhigen feinen Summen, vom Schlagzeug sanft vorbereitet. Es steigert sich zu einem federnd rhythmischen Freudengesang. Es klingt grimmig, wenn von Gottes starkem Arm die Rede ist: Die "Mächtigen" werden mit bedrohlichem Schlagzeugklang "vom Thron gestoßen", die "Hungernden" mit sanfter Chormusik getröstet. Der Schlussteil, die Verheißung an die Nachkommen Abrahams, wirkt festlich-tumultös. Das Ganze klingt wiederum mit feierlich-ruhigem Summen aus, das letzte Wort haben die Glocken des Schlagzeugs. Liturgie und Musik haben eines gemeinsam, sagt Michael Denhoff: Beide unterbrechen den Ablauf der Zeit, stellen einen Schwebezustand her. Der Komponist erreicht ihn, indem er an zentralen Stellen den klaren Rhythmus aufhebt; näher kann er dem liturgischen Text nicht kommen. Sein klangschönes, wirkungsvolles Magnificat erfüllt damit die Aufgabe guter liturgischer Musik: Das Geheimnis der Berührung von Gott und den Menschen erfahrbar machen, ohne es zu enthüllen.
© Lukas Speckmann, 12.06.2006 auf www.kirchensite.de
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