Olivier Messiaen

Olivier Messiaen

Balanceakt zwischen Tradition und Avantgarde

Notizen zur Musik Messiaens

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Wenn schon 1958 H. H. Stuckenschmidt in seinem Portrait über Messiaen schreibt: "Die Verbindung von religiöser Schwärmerei, leidenschaftlicher Erotik und phantastischem Surrealismus ist für den Inhalt der Messiaenschen Musik so bezeichnend wie für Ihre Form der Widerspruch von manchmal saccharinsüßer Melodik, gehäuften Dissonanzen und vertrackten Rhythmen", wird hiermit sicherlich, trotz der vielleicht lapidaren Vereinfachung, sowohl etwas über gewisse grundsätzliche Typika dieser unverwechselbaren Musiksprache als auch etwas über die geistigen Hintergründe dieser Klangwelt formuliert, was auch heute, nach fast dreißig Jahren, immer noch Gültigkeit für die Beschreibung der Messiaenschen Musik hat.

 

Bemerkenswert ist in der Tat, daß Messiaen schon recht früh (1942) in seiner theoretischen Abhandlung "Technique de mon langage musical" alle Aspekte seiner kompositorischen Verfahrensweisen beschreibt und erklärt, die bis zu seinen jüngsten Werken von Bedeutung sind: nicht umkehrbare Rhythmen, Modi mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten, Vogelsang, Gregorianik, indische Ragas. Das kurz zuvor (1941) in deutscher Kriegsgefangenschaft entstandene "Quatuor pour la fin du temps", eines der ersten ganz wichtigen Werke Messiaens, zeigt schon beispielhaft all diese Elemente des eigenen Personalstils. Aber auch in der 1984 uraufgeführten Oper "Saint Francois d’ Assisi", seinem - im zeitlichen Umfang (ca. viereinhalb Stunden) wie auch in der Größe des eindrucksvollen Orchester-, Chor- und Solistenapparates (ca. 200 Musiker) - bisherigen "Opus magnum", begegnet man wieder diesem musikalischen Denken und seinen typischen Klang- und Sprachidiomen. Aber nicht nur unter dem rein kompositionstechnischen Aspekt, sondern auch in der inhaltlich-programmatischen Konzeption, scheint dieses überdimensionierte Werk in jeder Hinsicht wie eine Zusammenfassung des bisherigen Gesamtschaffens zu sein.

 

Fast jedes Werk von Messiaen zeugt von der tiefen inneren Verwurzelung im Glauben; sie prägt die geistigen Inhalte. Ohne funktionell gebunden zu sein, ohne direkt bekehrend wirken zu wollen, spricht aus ihnen ein religiöser Geist im umfassenden Sinn. Und so ist das vom Komponisten selbst verfaßte Libretto der Oper, in Anlehnung vor allem an biblische Texte, mehr meditativliturgisch als szenisch konzipiert und rechtfertigt durchaus eine rein konzertante Aufführung, da die äußere Handlung auf ein Minimum beschränkt bleibt, sich vielmehr im inneren Verhältnis der Protagonisten zueinander abspielt, die mittels der expressiven Klangkraft der Musik zum Ausdruck kommt. Dabei wird die Musik nie banal illustrierend oder gar plakativ, sondern versucht eher abstrakt und übergreifend die Inhalte zu vermitteln. Trotz oft statisch blockhafter Klanggebärden entfaltet die Musik Messiaens eine dramatische Gestik, die sich aus dem extremen Kontrast eruptiver Akkordkaskaden in mixturartiger Massierung und äußerer Reduzierung auf monodischen Gesang ergibt. Gleiches gilt für das Spannungsverhältnis von fast Strawinskyscher Motorik und sehr langsamen Zeitmaßen an der Grenze des noch Nachvollziehbaren. Auch den einmaligen Feinsinn für Farben, den Reichtum an Nuancen von Klangdichten kann man an dieser umfangreichsten Partitur exemplarisch beobachten. Wie an einer riesigen imaginären Orgel registriert Messiaen hier scheinbar seinen Orchesterapparat.

 

Messiaen denkt und schreibt in Farben; das geht soweit, daß in manchen Partituren neben bestimmten Akkorden fast akribisch genau auch die zugeteilten Farbkombinationen notiert sind; ähnlich weisen seine Orgelwerke detaillierte Angaben zur Registrierung auf, die dem Interpreten nur einen kleinen Spielraum für eigene Farbassoziationen lassen.

 

Die Orgel, sein eigenes Instrument - Messiaen war viele Jahre Organist an St. Trinité in Paris - nimmt überhaupt neben den großangelegten Orchesterwerken einen ganz gewichtigen Stellenwert im Oeuvre ein. Diesem historisch so befrachteten Instrument entlockt er immer wieder ungewöhnliche Farben, doch auch hier bleibt es nie Selbstzweck, sondern wird stets in den Dienst der theologischen Programme gestellt, ohne allein nur für den Kirchenraum bestimmt zu sein. Wie das "Quatuor pour la fin du temps" sind die Orgelwerke, vornean der Zyklus "La nativité du Seigneur“, mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil des Repertoires fast eines jedes Organisten geworden, haben dazu beigetragen, daß die Musik Messiaens auch einem breiteren Publikum zugänglich wurde.

 

Nur noch dem Klavier fällt neben der Orgel bei Messiaen die gleiche Bedeutung als Soloinstrument zu. Es wurde vor allen zum Übermittler einer weiteren wichtigen geistigen Inspirationsquelle; dem Vogelsang. Fasziniert vom Ausdrucksreichtum der Vogelstimmen hat Messiaen mit ornithologischer Genauigkeit jahrelang Aufzeichnungen gemacht und setzt sie als ein Abbild von Natur kompositorisch um. Auch entsprechen wieder, trotz etwas anders gelagertem Sprachcharakter, die rhythmischen Komplexitäten seinen eigenen theoretischen Ansätzen und Natur spiegelt hier erneut symbolisch sein pantheistisches Weltbild wider. Fast ausschließlich auf diese Mittel sind die Werke der mittleren Schaffensperiode abgestimmt: "Réveil des oiseaux" (1953), "Oiseaux exotiques" (1955-56), "Catalogue d'oiseaux" (1956-58).

 

Daneben ist das Klavier, meist neben einem umfangreichen Schlagzeugapparat, fast in jedes größere Orchesterwerk integriert und unterstützt das generell zu beobachtende Phänomen, daß Messiaen vor allem Instrumente bevorzugt, die ihm eine potentielle Massigkeit, eine reiche und dichte Textur bieten. So eben auch das elektronische Instrument "Ondes Martenot", das ebenfalls in vielen Orchesterpartituren mit eingesetzt wird. Es bleibt schwierig, in Kürze alle Aspekte der Messiaenschen Musik zu umreißen. Ohne Zweifel nimmt Messiaen in der gegenwärtigen Musiklandschaft eine ganz wichtige Rolle ein: Seine Position ist einmalig! Sein Einfluß auf nachfolgende Komponisten - nicht nur auf seine Schüler wie etwa Boulez und Stockhausen - ist bemerkenswert. Und doch hat Messiaen, wie zum Beispiel auch Bartók, im positiven Sinne keine Schule gemacht, sondern eine ganz autonome und eigenwillige Sprache gefunden, der der Balanceakt zwischen Tradition und Avantgarde in beeindruckender Weise gelingt.

 

© 1986 Michael Denhoff

 

 

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