«nach- und mitschwingen eines
verborgenen grundklangs»
MICHAEL DENHOFFS «SKULPTUREN» OP. 76 IN BERGISCH-GLADBACH
MARTIN TCHIBA bei der Aufführung des «SKULPTUREN-ZYKLUS»
Die Geschichte gegenseitiger Beeinflussung von Musik und Bildender Kunst ist zwar beinahe so alt wie diese Ausdrucksformen selbst, dennoch sind, bedingt durch die Eigengesetzlichkeit des jeweiligen Mediums, direkte künstlerische Kooperationen problematisch. So zielten zumal die «Romantiker» im Sinne visionärer Grenzüberschreitung auf eie Verbindung der Künste, gelungen ist dies aber, wenn Überhaupt, nur auf der Basis verbaler Vermittlung. Auch die Verwendung musikalischer Begriffe (wie «Komposition» und «Improvisation») als Titel abstrakter Gemälde verweist nicht auf konkrete Analogien, sondern auf eine Annäherung an den «Geist» der Musik (als per se abstrakteste der Künste), die vom Verlust der Gegenständlichkeit in der Malerei am Anfang des 20. Jahrhunderts ausgelöst wurde; ebenso wie sich im Gegenzug die Komponisten der New York School in «geistiger» Bezugnahme an den Malern des «Abstrakten Expressionismus» orientierten. Dass sich im Verhältnis der Künste immer wieder aufreizende Spannungsfelder auftun, kann bis in die Jetztzeit verfolgt werden - ein außergewöhnliches Beispiel für vielschichtige Wechselwirkungen sind die Skulpturen des Komponisten Michael Denhoff und des Bildhauers Wolfgang Ueberhorst.
Nun haben auch Denhoff und Ueberhorst keineswegs gemeinsam an einem (Klang-) Objekt gearbeitet, wohl aber korrespondierten sie eng miteinander, indem sie die künstlerischen Vorgaben des jeweils anderen in ihre eigene «Sprache» transformierten. Angelegt war ihr Skulpturen-Projekt, das sich über einen Zeitraum von zehn Jahren (1996-2005) erstreckte, als ein «Gespräch»: Den Ausgangspunkt bildete eine (Bronze-) Skulptur des Bildhauers, auf die der Komponist mit einem Klavierstück reagierte, das seinerseits zur «Vorlage» für eine weitere Skulptur geriet usw. - wobei verabredet war, Titel oder Untertitel (zunächst) zu verschweigen, um die Wahrnehmung und mithin die schöpferische Antwort nicht einzuengen oder in bestimmte Richtungen zu lenken.
Auf diese Weise entstanden fünf Klavierstücke, die Denhoff zum Zyklus Skulpturen op. 76 formierte: «Natürlich funktionieren Ueberhorsts Skulpturen auch ohne die Musik und meine Musik ohne die Skulpturen. Das muss auch so sein; wir sind aber durch die besondere Art des Reagierens auf formale und gestalterische Phänomene gestoßen, auf die wir wohl sonst nicht gekommen wären», so Denhoff, der solcherart auch auf die Betonung körperlich-haptischer Elemente anspielt, wie sie die Einbeziehung von Inside-Techniken oder das Überkreuzen der Hände automatisch mit sich bringt. Durch sie lässt er den Interpreten zur beweglichen Skulptur im Raum werden. Eindringlich zu erleben war dies bei den ersten Aufführungen des kompletten Zyklus mit Martin Tchiba im November 2006 - so im Rahmen der Galeriekonzerte der Villa Zanders in Bergisch-Gladbach. Nicht nur, dass beim besagten Überkreuzen die Hände des (glänzend aufgelegten) Pianisten wie Fantasietiere über die Tasten mäanderten, auch deutete die zumal im (zentralen) dritten Stück hervorgehobene Kreuzsymbolik im Kontext des zwischen meditativer Entgrenzung und punktuell bohrender Expressivität schwebenden Klangkosmos untergründig - und dennoch wie selbstverständlich - auf spirituelle Dimensionen.
Über dieses womöglich intuitiv gesetzte Zeichen hinaus erscheinen alle fünf Skulpturen gleichsam von einer auratischen Sphäre umhüllt, innerhalb derer sich hinsichtlich Materialebene und Entwicklungskurve komplexe musikalische Prozesse vollziehen. So liegt jedem Klavierstück eine spezifische Materialkonfiguration zugrunde - im ersten etwa ist es ein vom Eigenklang der ersten Skulptur abgeleitetes Fünftongebilde -, die zwar die Individualität der einzelnen «Klangskulptur» unterstreicht, zugleich aber mannigfaltige Beziehungen zu den anderen eröffnet. Auch spannt der Zyklus, Vor- und Rückgriffe eingeschlossen, einen Bogen von stärkerer Präsenz des Gestischen und Körperlichen hin zur Fokussierung eines (geistigen) Zustands der Entmaterialisierung, in dem, wie der Komponist es ausdrückt, die «magische Schwere des Materials mit verrätseltem Nach- und Mitschwingen eines verborgenen Grundklangs» verbunden ist. Diese Entwicklung war es wohl auch, die zu einem natürlichen Ende führte: Mittels sachten Reibens eines Buckel-Gongs versinkt die finale Skulptur im archaischen Urgrund des Geräuschs. «Alle große Musik hat einen spirituellen Hintergrund», meint Michael Denhoff - und wenn er dieses Credo auch nicht explizit auf seine Skulpturen bezog, so trifft es auf das Werk doch uneingeschränkt zu.
© 2007 Egbert Hiller
in: Neue Zeitschrift für Musik, 2007 / 1
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