zur Ausstellung „Synchron 97 - Klangbriefe" im Bonner Künstlerforum
Giso Westing: „Ohne Titel“ (für Michael)
Kunst, welcher Art auch immer, ist Reaktion. Ein Kunstwerk reagiert immer auf etwas, was schon da ist, denkt es weiter oder widerspricht, knüpft an oder bricht, entsteht allein durch das, was das vor ihm Gewesene ausgelöst hat. Und es wird schließlich selbst ein Glied jener unendlichen Kette, deren einzelne Glieder sowohl mit der Vergangenheit verknüpft sind, weil sie auf diese reagieren und anschließen, als auch in die Zukunft gerichtet sind, da sie selbst wieder zum Auslöser von Reaktion werden. Somit ist das Kunstwerk der Schnittpunkt, in dem die Gegenwart immer wieder von Neuem sichtbar, hörbar, erlebbar gemacht wird. Wenn Sie heute durch unsere Ausstellung gehen, deren Exponate alle von Musik ausgelöst wurden - in diesem Fall von meiner Musik (was mich ehrt!) -, so scheint der Impuls zur Gestaltwerdung von Neuem zwar ziemlich konkret ausmachbar zu sein, dennoch stehen Bild und Musik in einem labilen und ambivalenten Verhältnis zueinander. In den Bildern und Objekten klingt nichts nach, wie auch die Musik, wenn sie sich auf Malerei bezieht, nichts abbilden kann. Und doch sehen Sie (sehe ich) heute meine Musik, können Sie (kann ich) die Farben und Formen der Bilder hören. Die Klänge sind in eine andere Materialität übersetzt worden. Dabei ist ihnen neue Bedeutung zugewachsen, während sie die ihnen innewohnende Energie dafür freisetzten. Doch durch diese neue Bedeutung, durch die jeweils ganz individuelle Deutung der Klänge zu neuen Gestalten, entfernen sich das Auslösende und Reagierende voneinander. Beides steht nur für sich da und hat doch miteinander zu tun. Von dieser besonderen Beziehung zueinander möchte die Ausstellung etwas vermitteln. Es kann hierbei aber nicht darum gehen, allein die Analogien aufzuweisen, das Gemeinsame herauszustellen, vielmehr soll bei aller Nähe der beiden künstlerischen Disziplinen das jeweils unverwechselbar Eigene erfahrbar gemacht werden. Klangraum und Bildraum decken sich hinter dem Sichtbaren und Hörbaren; beide erklären sich aus sich selbst heraus. Hier muß auch das Wort verstummen, denn es kann nichts erklären oder gar klären, was das Wesentliche ausmacht. Zwar werden viele Worte um die Kunst gemacht - auch in diesem Moment geschieht es - aber das Sprechen über Kunst kann allenfalls an sie heranführen, aber nicht das Sehen und Hören ersetzen. Die Sprache ist die Grenze vor den Klängen und Bildern. Ihre Worte können nur die akustische und optische Oberfläche beschreiben, das Wie des Gemachten, aber nicht das benennen, was als eigentliche Botschaft hinter dieser äußeren Oberfläche durchzuschimmern vermag, eine Botschaft, deren Möglichkeit des Sich-Mitteilens eben nur Farbe, Form und Klang sein kann. Die Bilder und Objekte sind stumm, sie schweigen. Aber auch die Musik ist zunächst stumm, da sie nur in Schriftform notiert wurde. Doch so wie sie durch verantwortungsvolle Interpreten und Musiker in Klang und Bedeutung dechiffriert werden kann, so wollen und können auch die Bilder etwas sagen, das unaussprechlich bleiben muß, das sich nur über das Auge erschließen läßt: hier wird der Sehende zum Interpreten, der hinter die Oberfläche des Sichtbaren vordringt. Wenn Sie als Betrachter und Hörer die Ihnen mit dieser Ausstellung gebotene Möglichkeit nutzen wollen, die auslösende Musik und die reagierende Malerei zueinander zu bringen, sind Sie wie Archäologen, die nach den Wurzeln der Freisetzung schöpferischer Energien graben. Sie werden etwas ahnen von der gegenseitigen Wechselwirkung, und doch wird das eigentliche Geheimnis der Gestaltwerdung nicht enträtselt werden können. Hierin liegt die Stärke von Kunst ganz allgemein, denn jeder von Ihnen wird etwas anderes sehen und hören: Kunst entsteht nur durch Ihre ganz individuelle Art der Wahrnehmung. In seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst" schreibt Kandinsky über ’die Wirkung der Farbe’ : "die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt." In diesem Sinne möchte ich Sie auffordern: gehen Sie durch diese Ausstellung als ein Instrument, dessen Saiten seismographisch die nicht sichtbaren und hörbaren Schwingungen auffängt. Dann kann das Gesehene und Gehörte wirken und etwas auslösen.
© 1997 by Michael Denhoff
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