Singen vom verlorenen Paradies
Geistliche Musik – Gründe und Ziele meines musikalischen Schaffens
(Vortrag zur Tagung „Geistliche Musik zwischen Anspruch und Popularitat“
in der Hochschule für Katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik in Regensburg, 1./2. Juli 2005)
I
Sehr geehrte Damen und Herren,
der kürzlich verstorbene große italienische Dirigent Carlo Maria Giulini hat einmal gesagt: „Ich glaube, daß die Kunst immer geistlich ist. Ich kenne keine andere Kunst.“ Nicht nur seine schon legendäre Einspielung des Requiems von Verdi ist ein eindringliches Zeugnis dieser seiner Auffassung, auch wenn man seine Interpretationen der großen Symphonien von Schubert, Brahms, Bruckner oder Mahler hört, spürt man, daß da ein Musiker am Werke war, dem eine egozentrische Selbstdarstellung als Pultstars fernlag, der vielmehr die tiefgründigen, menschlichen und geistigen Schichten der Partituren, die Stimme der Komponisten also, auf höchst verantwortungsvolle und dienende Art und Weise Klang werden ließ. Und so erlebt der Zuhörer, wenn sein Sensorium denn dafür geöffnet ist, auch in der Musik, die nicht explizit einen geistlichen Hintergrund hat, etwas, das man im weitesten Sinne als spirituell bezeichnen könnte.
(Unterwegs auf der Bahn las ich übrigens eben in der FAZ einen Artikel über Herbert Blomstedt, der sich heute mit einem Konzert in Leipzig verabschiedet. Dort steht, daß er Interpretation immer mit der Exegese eines Bibeltextes verglichen hat; das scheint mir sehr schön in diesem Zusammenhang zu passen.)
Ich möchte eingangs auch noch einen anderen großen, von mir bewunderten Künstler zitieren. „Alle Kunst ist Suche nach Gott“, war das Lebensmotto von Alexej von Jawlensky, dem Maler, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts im erzwungenen Exil in der Schweiz ein malerisches Universum von magischer Wirkung schuf. Die dreißiger Jahre führten Jawlensky in einen letzten Lebensabschnitt der Krankheit, Armut und Ächtung durch die Nationalsozialisten. Dessen ungeachtet schuf er in dieser Zeit ein Spätwerk von konzentrierter Immanenz. In der Serie der Meditationen reduzierte er das menschliche Antlitz auf eine meditative Dimension. Sie ist einerseits im Prozeß des Malens selbst aufgehoben, artikuliert sich aber andererseits auch in einem bildnerischen Einsatz von Farbe, die dem Betrachter eine Erfahrung von Transzendenz eröffnet. Oftmals vergleichbar mit Ikonen, beinhalten diese Meditationen (Mystische Köpfe und Heilandsgesichter) einen Vorstoß ins Reich des Erhabenen und damit einen visionären Aspekt des Expressionismus, den man bei Jawlensky lange übersehen hat, der ihn aber als einen im umfassenden Sinne religiösen Menschen und Künstler auszeichnen.
Die Selbstreflexion ist für jeden Künstler eine selbstverständliche und geradezu notwendige Tugend, ohne sie könnte Kunst genau genommen gar nicht entstehen. Und ich glaube, wenn für Jawlensky alle Kunst Suche nach Gott bedeutet und für Giulini alle Kunst immer geistlich ist, so artikuliert sich darin auch das Ergebnis einer Selbstreflexion. Wer über sich nachdenkt, über das, was seine Existenz prägt und überhaupt erst möglich macht, wer als Künstler dabei hinter die Oberfläche des rein Handwerklichen schaut, wird in Wirklichkeitsebenen vorstoßen, bei der die Wahrnehmung das Vorstellungsvermögen überschreiten kann. Musik und Kunst beginnt dort, wo Worte nicht mehr hinreichen. Erst sprachlos eröffnet sich dem Betrachter und Zuhörer der Bereich von Transzendenz. Es ist eine beglückende Erfahrung, daß wir offenen Ohres und Auges so erkennen, was wir zwar vielleicht wissen und ahnen, aber nicht zu benennen vermögen, weil diese „Wirkung aus dem Geistigen kommt und zutiefst im Erstaunen der Seele liegt“, wie Bernd Alois Zimmermann es einmal formuliert hat.
Dabei habe ich selbst schon sehr früh die Erfahrung gemacht, daß diese Wirkung, die von Musik ausgeht, als Energie noch tiefer und fundamentaler auf mich ausstrahlt, als es bei der Malerei der Fall ist. So habe ich zwar in den frühen Jahren, wie eigentlich alle Kinder, gerne gemalt, und wurde bedingt durch ein musikalisches Elternhaus auch sehr früh an die Musik herangeführt. Jedoch wuchs sehr bald zunächst allein das Malen und Zeichnen über die ganz kreatürliche Lebensäußerung eines Kindes hinaus, wurde als stille Beschäftigung mehr und mehr zu einer Art innerem Zufluchtsort voll sinnlicher Magie. Das Hantieren mit Tusche und Feder, das Färben und Schwärzen der Papierbögen – noch frei von inneren Hemmnissen und Widerständen des Wissenden – als Feld ungestüm naiven Experimentierens befriedigte ganz handfest und sofort sichtbar das Bedürfnis des Sich-schöpferisch-Mitteilens. Und schon allein der Geruch der frisch auf die Palette ausgedrückten Ölfarben wirkte stimulierend wie eine magische Droge, versetzte mich in Erregungszustände, die mich beim Malen das Zischen der sich mischenden Farben geradezu körperlich fühlen ließen. Der Bücherschrank im Elternhaus war für das eigene Tun Fundgrube und Anregungsquelle. Dort fand ich in Reproduktionen Bilder von Cezanne, Picasso, Klee, Feininger, Chagall und vielen anderen. Es waren damals zwei Bilder, die mich in ihrer geradezu bestürzenden Farbenpracht besonders faszinierten – erst viele Jahre später sah ich in München die Originale: das Tirol-Bild von Franz Marc und Improvisation ‘Klamm’ von Wassily Kandinsky. Diese überwältigende Polyphonie der Farben und Formen wirkte auf mich wie ein unentrinnbarer Sog; beim Eintauchen über das Betrachten projizierten sich imaginäre Klänge einer unerhörten Sinfonie in mein Innerstes.
Aber mit zunehmender praktischer Beschäftigung mit der Musik, dem Erlernen des Klavier- und Cellospiels, dann den ersten eigenen kompositorischen Gehversuchen und vor allem nach den ersten Konzerteindrücken, bemerkte ich, daß Klänge und Töne etwas in mir auslösten, das mir auf nicht benennbare Art von einer ganz anderen, jenseitigen Welt zu künden schien und mein Innerstes noch viel intensiver berührte, als alle großartige Malerei. Auch hier waren es zunächst vor allem zwei Werke, die ich gar nicht oft genug hören konnte: Bartoks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta und die Unvollendete von Franz Schubert. Trotz all ihrer tiefen Abgründigkeit öffnete mir diese Musik gleichzeitig ein fernes, aber strahlendes Fenster zum Himmel, ein Fenster in einen anderen nur erträumten Zustand, bei dem sich Klang und Gefühl auf eine Art und Weise vereinen, daß alle irdische Zeitgebundenheit aufgelöst erscheint.
Ich erwähne diese ersten prägenden Eindrücke deshalb, weil mir hier die Wurzeln für mein heutiges Tun und Wirken zu liegen scheinen. Diese tiefgreifenden Erfahrungen haben meine eigene kompositorische Arbeit maßgeblich geprägt. Das, was in meinen jungen Jahren wie ein noch unbegreiflicher Blitz eingeschlagen war, hat sich mit zunehmender Fähigkeit zur Selbstreflexion nur noch in seiner Intensität vertieft. Die besondere Neigung zur bildenden Kunst ist geblieben, auch wenn die eigene Betätigung in diesem Metier längst eingestellt ist; aber Werke der bildenden Kunst waren immer wieder Anstoß für eine kompositorische Annäherung. Und auch sonst glaube ich, die Spuren dieser besonderen Beziehung sind in meiner Klangsprache zu finden: die farblich harmonische Ausleuchtung, das differenzierte Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel, überhaupt das Gefühl für Klang-Farbe hat in meiner Musik seinen Ursprung in der durchaus synästhetischen Veranlagung.
In den eingangs zitierten Bekenntnissen von Jawlensky und Giulini sehe ich mich in meiner Auffassung von dem, was mir Kunst und Musik bedeuten, bestätigt. So verstehe ich Komponieren nicht in erster Linie als eine kombinatorische Fähigkeit, als den Beweis rein handwerklichen Könnens (welches allerdings unzweifelhaft auch dazu gehört), sondern es ist für mich vielmehr eine Art Transformationsprozeß von Denken und Empfinden. Musik als sinnlicher Zustand von Zeit ist das Heraustreten und Sich-Lösen aus ihr in die Zeitlosigkeit der Empfindungen. Musik ist die Verlängerung der Sprache mit anderen Mitteln; ihre Mitteilung ist keine abgebildete Wirklichkeit, sondern sie schafft eine eigene – klangliche, räumliche, zeitliche – Wirklichkeit, bei der im Idealfall Komponist, Interpret und Hörer – wie drei Saiten ein und desselben Instrumentes berührt – eine geistige Einheit bilden.
II
Als vor nunmehr etwa vier Jahren der „Gesprächskreis zu Fragen von Kirche und Musik“ an mich herantrat mit der Anfrage, ob ich zur Verfügung stehen könnte, eine Credo-Komposition zu schreiben, habe ich nach anfänglichem Zögern doch relativ schnell und spontan zugesagt, auch, weil ich es als eine neue persönliche Herausforderung für mich betrachtete. Bisher war ich zwar nicht als Kirchenmusik-Komponist „auffällig“ geworden, aber es gab immerhin ein Orgelstück aus dem Jahr 1984, welches sich auf den lutherischen Choral „Aus tiefer Not“ bezieht (Sie werden es im heutigen Abendkonzert hören können). Aber ansonsten gab es bis zu diesem Zeitpunkt keine Musik von mir, die biblische Texte nutzt oder sonst irgendwie konkret für den Kirchenraum bestimmt ist. Ja, es ist sogar so, daß ich lange Zeit Schwierigkeiten hatte, überhaupt das Wort in meine Musik einzubeziehen, Texte, welcher Art auch immer, zu vertonen. Es liegt wohl daran, daß das, was mir damals als noch junger Komponist vorschwebte, sich für mich nicht mit den Mitteln der Stimme darstellen ließ. So bin ich eigentlich erst recht spät zur Vokalmusik, zum vertonten oder gesungenen Wort gekommen, wenngleich Texte und überhaupt die Bezugnahme zur Literatur mittlerweile seit vielen Jahren eine sehr wichtige Rolle in meiner Musik spielen. Die Auseinandersetzung mit Werken der Literatur hat auf vielfältige Art und Weise mein eigenes kompositorisches Denken beeinflußt und auch verändert. An dieser Stelle möchte ich nur drei der mir wichtigsten Autoren nennen, die deutliche Spuren in meiner eigenen Arbeit hinterlassen haben. Das ist zum einen Paul Celan, dessen dichterisches Werk mich immer wieder angezogen hat. Aus der intensiven Beschäftigung mit seinen Gedichten, deren nur scheinbar hermetische Sprache immer wieder das Schweigen und das Scheitern thematisieren, sind mehrere Stücke entstanden. Dies war auch ein ganz persönlicher Weg einer möglichen Deutung, der Versuch des Begreifens und damit ein eigenes In-Besitz-nehmen dieser Texte. Zum anderen ist es Samuel Beckett, dessen späte Prosatexte – und da vor allem „Worstward Ho“ – einen umfangreicheren Werkblock evoziert haben. Und nicht zuletzt Stéphane Mallarmé ist es, der in jüngerer Zeit im Mittelpunkt meines Interesses stand. In all diesen Werken erscheint das Wort aber nicht vertont, es ist stattdessen die gedankliche Folie, auf der die Klänge zu wachsen begannen. Das mit-gedachte Wort machte das eigene Klingen möglich und führte mich so zu bis dahin un-gedachten und un-gehörten Möglichkeiten der musikalischen Rede. In meinem bisher wohl wichtigsten Kammermusikwerk, den tagebuchartigen Aufzeichnungen HAUPTWEG UND NEBENWEGE op. 83 für Streichquartett und Klavier, einem knapp dreistündigen Werk aus dem Jahre 1998, gibt es eine geradezu labyrinthisch verschlungene literarische Ebene: in der Partitur findet sich eine Vielzahl literarischer Zitate von Hölderlin über Novalis, Trakl, Kafka usw. bis hin zu Ungaretti, Bachmann und auch noch lebenden Autoren, wie etwa dem Autisten Birger Sellin. Doch diese Texte sind nur für die ausführenden Musiker zwischen die Noten geschrieben, auf die sie einwirkten, sie bleiben also dem Zuhörer verborgen, wenn er nicht die Partitur zur Hand nimmt. Nur in einem der zwölf Teile brechen sie heraus, werden von den Musikern zur klingenden Musik deklamiert. Aber eben auch dort, wo dies nicht geschieht, sind diese Texte für mich latent präsent.
Doch soll hier nicht weiter von anderen Stücken die Rede sein. Ich habe diesen besonderen Bezug vieler meiner Werke zur Literatur aber deshalb erwähnt, weil in dem Moment, wo mit dem Auftrag zur Credo-Komposition die Frage im Raum stand „wie kann ein Komponist heute mit dem Credo-Text umgehen?“, für mich sofort, eigentlich gleich im allerersten Moment des konkreteren Nachdenkens, klar war, daß ich Texte finden mußte, die diesen alten Text bespiegeln, hinterfragen, in irgendeiner Weise mit ihm korrespondieren, ihm aus heutiger Sicht neue Aktualität geben.
Es wurde für mich ein langer Weg der Suche nach dafür geeigneter Literatur. Aber auch als eine Textzusammenstellung gelungen schien (darunter Texte u. a. von Paul Celan, Rose Ausländer, Eva Zeller, Fernando Pessoa und Kurt Marti), gestaltete sich die kompositorische Arbeit nicht zügig. Zahllose Skizzen und Entwürfe waren notwendig, dabei wurden Vieles wieder verworfen, ja sogar Zweifel, ob ich der gestellten Aufgabe überhaupt gewachsen sei, stellten sich ein. Denn es galt, noch eine andere „Hürde“ zu überwinden: die zu schreibende Musik sollte für einen guten Laienchor machbar sein, womöglich unter Beteiligung der Gemeinde – so der Wunsch der Auftraggeber. Dies bedeutete eine Herausforderung der besonderen Art. Denn einerseits durfte ich die Laien, für die diese Musik auch gedacht war, nicht überfordern, andererseits sollten dadurch die Ausdrucksmöglichkeiten meines Vokabulars im eigenen Interesse nicht über Gebühr einschränkt sein. Keinesfalls durfte dabei die Musik in die Sphäre der Gebrauchsmusik abdriften. Es galt, einen hohen künstlerischen Anspruch mit schlichteren kompositorischen Mitteln zu vereinen.
Erst im Herbst des Jahres 2002 schien ein gangbarer Weg gefunden. Zurückgezogen in eine private Arbeitsklausur gelang es mir endlich, aus den schon vorhandenen Notizen und Skizzen mehr als nur weitere Entwürfe abzuleiten. Innerhalb nur weniger Tage konnte ich – abgeschirmt von alltäglichen Ablenkungen – die ersten vier Teile (von zwölfen, die geplant waren) in kompletter Partitur ausarbeiten. Und auch das, was mir für die anderen Teile bisher nur recht vage vorgeschwebt hatte, konkretisierte sich nun im Kopf. Anfang 2003 war dann die gesamte Partitur fertig.
Noch während der Arbeit an IN UNUM DEUM (so der Titel des gut 35-minütigen Werkes für Sopran, Bariton, Chor, Orgel und kleines Orchester) stellte sich bei mir die Idee ein, nach Fertigstellung der Partitur zudem eine reine a-cappella Fassung für Chor zu schreiben, die nur den lateinischen Credo-Text nutzt. Dieses CREDO ist zwar in Vielem mit dem großen „Geschwister-Werk“ verwandt, aber doch sehe ich es als ein völlig selbständiges Chorstück, schon allein deswegen, weil hier eine zeitgenössische Kommentierung und Interpolation mit Fremdtexten entfällt und die interreligiöse Intention von IN UNUM DEUM zurücktritt zugunsten einer eher traditionellen Credo-Vertonung.
Die Uraufführung von IN UNUM DEUM fand Ende Mai 2003 in Berlin im Rahmen des 1. Ökumenischen Kirchentages statt. Eine weitere Aufführung gab es während des dreitägigen Kolloquiums „Kirchenmusik im 20. Jahrhundert – Erbe und Auftrag“ in der Bonner Münster-Basilika im November 2003. Interpreten waren, wie in Berlin, die Solisten Irene Kurka (Sopran), Alban Lenzen (Bariton), der Chor der Aachener Hochschule für Kirchenmusik und das Orchester der Kölner Kammermusiker. Die überaus kompetente und engagierte Leitung hatte Steffen Schreyer.
Aus diesem Werk, das mittlerweile als Live-Mitschnitt aus Berlin in einer SACD-Aufnahme vorliegt, möchte ich Ihnen nun zwei Ausschnitte vorstellen. Mit diesen möchte ich exemplarisch zeigen, wie ich einerseits die Herausforderungen durch die ganz konkreten Vorgaben zu lösen suchte und andererseits demonstrieren, wie die intensive persönliche Auseinandersetzung mit dem alten Credo-Text zu klanglich-kompositorischen Ergebnissen führte, die sich durchaus unterscheiden von meinen Vorgängern, die sich ebenfalls dem Credo-Text gestellt haben.
Vorab sei aber noch erwähnt, daß der gesamten Credo-Komposition eine zentrale 7-tönige Formel zugrunde liegt, von der alle musikalischen Gestalten abgeleitet sind. Diese Formel ist kompositorisch wie intentional von allergrößter Bedeutung. Ihre sieben Töne entsprechen den sieben Silben des Beginns des lateinischen Credo-Textes (Cre-do in u-num De-um) und beziehen gleichzeitig die Vollkommenheits-Symbolik dieser Zahl ein. Die Töne der Formel sind eine siebenfach aufsteigende Quintenfolge, die aber auf den engen Raum einer None gestaucht sind: zwei gleiche Dreiergruppen im Terzabstand umklammern dabei den tiefsten Ton fis. Sie bilden in ihrer Mitte, wo sich letzter Ton der ersten Dreiergruppe und erster Ton der zweiten Dreiergruppe, verbunden durch das fis, gewissermaßen "die Hand reichen", eine weitere Dreiergruppe, welche die Krebsumkehrung der beiden anderen darstellt. Drei Dreiergruppen als musikalisches "Bild" des einen Gottes, womit symbolisch der dreieine Gott und die trinitarische Struktur des Credo eingefangen sind.
In den ersten Worten „Ich (bzw. wir) glauben an den einen Gott“ scheint mir ohnehin alles zusammengefaßt und fokussiert, was in den folgenden Versen lediglich mit weiteren Glaubenssprüchen ausdifferenziert wird. Ich entschloß mich, den Gedanken der radikalen (dreifaltigen) Einheit Gottes, die christlich interkonfessionell und ökumenisch unumstritten ist, weiterzudenken und seine musikalische Repräsentation zu öffnen hin auf eine interreligiöse Übereinstimmung der abrahamiten Religionen, die unter verschiedenen Namen und Bildern letztlich den einen und einzigen Gott anbeten, seien sie nun Juden, Christen oder Muslime. Musik mag da die einzige adäquate "Sprache" sein, um letztlich Unaussprechliches und Unabbildbares schaudernd, ehrfürchtig, freudig auszudrücken. So sind im zweiten Teil der Komposition, der direkt aus einem eröffnenden „Anweg“ herauswächst, neben dem Beginn des lateinischen Credo auch das griechische, russische, hebräische (jüdische) und arabische (muslimische) Bekenntnis zum einen Gott collage-artig ineinander verschachtelt. Während sich die einzelnen im Kirchenraum verteilten Chorgruppen singend zum vorgesehenen Aufstellungsort des Chors hinbewegen, stimmt schließlich auch die Gemeinde ein. Dazu soll zudem das Wort „Gott“ in möglichst vielen Sprachen in die Musik hineingerufen werden. Hören wir nun diesen Abschnitt der Musik, der dem gesamten Werk den Titel gab:
Klangbeispiel: In unum Deum
Den für mich eigentlichen inneren Höhepunkt von IN UNUM DEUM bildet das „Resurrexit“. Von der Tradition her sind wir es gewohnt, an dieser Stelle (wie etwa bei Bach) eine Musik zu hören, die das Überwinden des Todes musikalisch in freudig beschwingte Klanggesten übersetzt. Für mich ist die Auferstehung Jesu ein ungeheuerliches Ereignis voll bildhafter Bedeutung. Das Erstaunen darüber konnte ich nicht anders in Klang setzen als in einem zögernd und fast ungläubig tastenden, ganz zurückgenommenen schlichten und reinen Chorsatz. Ich denke, diese einfache, aber mitnichten simple Musik kann ein beredtes Beispiel dafür sein, daß direkte, unmittelbare Ansprache und künstlerischer Anspruch keinen Widerspruch bedeuten müssen.
Klangbeispiel: Resurrexit
III
Zum Schluß möchte ich nun noch einen Satz aus meinem 4. Saxophonquartett vorspielen. Dieses Stück – es ist die derzeit letzte abgeschlossene Komposition und wurde erst vor wenigen Wochen uraufgeführt – trägt den Titel „Fünf geistliche Gesänge“. Es ist ähnlich wie die a-cappella Fassung CREDO zum großen Werk IN UNUM DEUM ein kleineres „Geschwisterwerk“: das Material zu diesem Saxophonquartett entstammt nämlich ausschließlich einem MAGNIFICAT, welches als Auftragswerk zum 1200-jährigen Bistumsjubiläum Münster entstand und zum Ende der Jubiläumsfeierlichkeiten am 20. November diesen Jahres im Paulus-Dom zu Münster erstmals erklingen wird.
In diesem rein instrumentalen „Geschwisterwerk“ verschwindet zwar (anders als im CREDO) wieder das biblische Wort, es bleibt aber dennoch in den Klängen und Linien der Musik aufgehoben und nimmt dabei – wie man sagen könnte – transzendente Gestalt an. Für mich bedeutet diese Musik damit auch das, was ich an anderer Stelle als eine von vielen denkbaren und möglichen Definitionen, was Komponieren sei, einmal so formuliert habe: … Singen vom verlorenen Paradies.
Klangbeispiel: Fünf geistliche Gesänge (Satz III)
Ich danke für Ihr Interesse und Ihre offenen Ohren.
© Michael Denhoff, 1.Juli 2005
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