Booklet-Text

(deutschenglisch)

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Cover SACD SEVEN

SEVEN - Septette des 20. Jahrhunderts

 

Igor Strawinsky, Septett

John Cage, Seven

Morton Feldman, The Viola in My Life II

Michael Denhoff, Igitur - Lesart für Kammerensemble op. 85

Leoš Janáček, Concertino

 

PRO NOVA ENSEMBLE der Duisburger Philharmoniker

Ltg.: Michael Denhoff

 

Confido SACD 270604 (TT. 77' 12")

 

 

 

 

 

SEVEN – Septette des 20. Jahrhunderts

 

Kompositionen für sieben Instrumente sind in der Musikgeschichte nicht gerade zahlreich zu entdecken. Einerseits beginnt die Besetzungsstärke den Bereich der Kammermusik zu sprengen, andererseits kann von einem Orchester noch nicht die Rede sein. Gegenüber dem Streichquartett, dem Streich- oder Klaviertrio ist auch das Fehlen einer standardisierten Besetzung festzuhalten: Jedes Septett definiert seine Besetzung neu, wie denn überhaupt die große Stimmenzahl die Verwendung von Instrumenten aus einer einzigen Familie so gut wie ausschließt. Also sind Septette gekennzeichnet von einer gemischten Besetzung, denn gewöhnlich finden Streich- und Blasinstrumente nebeneinander Verwendung. Als erster bedeutender Beitrag gilt Ludwig van Beethovens 1799/1800 geschriebenes Septett Es-dur op. 20. Es hat die Anregung zu weiteren Kammermusikkompositionen in gleicher oder ähnlicher Besetzung gegeben wie etwa zum Schubert-Oktett. Die zeitliche Nähe spricht dem Beethoven-Septett die Rolle eines Schwesterwerks zur ersten Symphonie zu. Doch damit nicht genug: In der sechssätzigen Disposition sind gleichzeitig Einflüsse aus der überkommenen Serenadentradition erkennbar. Verschiedene Einflüsse, nicht allein aus der Kammermusiktradition, lassen sich auch in den jüngeren Septettkompositionen nachweisen, wie das Komponieren für sieben Instrumente gerade im zwanzigsten Jahrhundert einige exemplarische Beispiele hervorbrachte. Allerdings beschränkten sich die Komponisten keineswegs auf die übliche Streicher-Bläser-Besetzung, sondern zogen weitere Instrumente - etwa das Klavier oder das Schlagzeug - hinzu. Und auch hier sind die Kompositionen von Einflüssen aus den verschiedensten Bereichen gespeist. Konzertante Einflüsse finden sich nicht nur im „Concertino” von Leoš Janáček, sondern auch in „The Viola in My Life” von Morton Feldman. Ferner ist zu bemerken, dass die Bezeichnung „Septett” oftmals regelrecht gemieden wurde. Der Amerikaner John Cage gab seiner Komposition für sieben Instrumente den schlichten Titel „Seven”, womit bereits eine erste Abgrenzung von den klassischen Beiträgen erfolgte.

 

Das „Concertino” von Leoš Janáček, das älteste Werk des Profile-Programms, entstand 1925. In einem Konzert zu Ehren seines siebzigsten Geburtstags hatte Janáček den Pianisten Jan Her ˇman erlebt und sogleich eine Komposition mit gewichtigem Klavierpart entworfen. Angeblich seien dem Komponisten bereits auf dem Heimweg nach dem Geburtstagskonzert die Hauptmotive eingefallen, und er versuchte in diesem Werk an den jugendlichen Überschwang seines Sextetts „Mládí” anzuknüpfen. Das „Concertino” von Leos Janáček ist ein Klavierkonzert mit äußert komprimiertem Orchesterpart. Das Orchester kommt mit nicht mehr als sechs Instrumenten aus, wobei einige der Instrumente in den beiden ersten Sätzen sogar pausieren. Allerdings verwirklicht Janáček in seinem „Concertino” auch die Idee eines dialogischen Konzertierens, wie sich in dieser Instrumentalkomposition überhaupt der große mährische Musikdramatiker zu erkennen gibt.

 

Ein gutes Vierteljahrhundert später (1953) schrieb Igor Strawinsky sein Werk mit der schlichten Bezeichnung „Septett”. Die Komposition für drei Blasinstrumente, Klavier und Streichtrio entstand in Beverly Hills und wurde in Dumbarton Oaks im US-Bundesstaat Washington, D.C., uraufgeführt. Fünfzehn Jahre zuvor hatte Strawinsky ein Konzert mit dem Titel „Dumbarton Oaks” geschrieben, und im ersten Satz scheint es gewisse Anlehnungen an das ältere Werk zu geben. Dann aber geht das Septett über das Konzert „Dumbarton Oaks” hinaus, markiert das jüngere Werk doch den Übergang zu Strawinskys Spätstil. Auffallend sind die Anlehnungen an den barocken Formenschatz, der jedoch bei Strawinsky auf ungemein diffizile Weise aufgegriffen wird: In der Passacaglia werden die Motivsplitter ähnlich wie bei Anton Webern auf die verschiedenen Instrumente aufgeteilt und auf der Grundlage der Reihentechnik Schönbergs, Weberns und Bergs variiert; Die abschließende Gigue gilt dann als ein kontrapunktisches Meisterstück mit nicht weniger als vier Fugenbildungen. Hierbei sind die erste und dritte Fuge dem Streichtrio, die zweite und vierte Fuge aber dem Bläsertrio mit Klavier zugedacht, so dass sich sämtliche Instrumente nur in den vier Kadenzen zusammenfinden.

 

Zu den bedeutendsten amerikanischen Komponisten in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zählten John Cage und Morton Feldman. Cage, der ältere der beiden, studierte bei Arnold Schönberg und erregte zunächst mit seinen Kompositionen für präpariertes Klavier Aufsehen. Zufallsoperationen spielten in seinem Schaffen eine wichtige Rolle, außerdem bewegte sich seine Musik oft im Grenzbereich zur Stille. Gegen Ende seines Lebens machte sich jedoch ein großer stilistischer Wandel bemerkbar. Zum Spätwerk von John Cage zählen die „Number Pieces” der Jahre 1987 bis 1992, die oft von Stille durchsetzt sind und bei reduzierter Klanggestalt eine beinahe schon als mystisch zu bezeichnende Schönheit besitzen. Zu den späten „Number Pieces” gehört „Seven” aus dem Jahr 1988. Bei der Duisburger Aufführung wurden die Musiker um das Publikum herum gruppiert, so daß die Klänge nicht nur die Zeit, sondern auch den Raum durchmessen.

 

Morton Feldman wiederum sagte bei der Arbeit an „The Viola in My Life”: „Ich schreibe Melodien, große Melodien, Puccini!” Bei „The Viola in My Life” handelt es sich um einen insgesamt vierteiligen Zyklus - ein abschließender fünfter Teil blieb unvollendet. Die für die Bratschistin Karen Phillips geschriebenen Kompositionen stellen die Viola als Soloinstrument heraus. Im ersten Stück ist die Viola von fünf, im zweiten von sechs Instrumenten umgeben. Das dritte Stück ist dann eine Komposition für Viola und Klavier, während der Zyklus von einem regelrechten Violakonzert beschlossen wird. Die Behandlung des Soloinstruments geschieht auf eine völlig andere Weise als bei Leoš Janáček: Eine sehr sensible Dynamik verwischt die musikalischen Farben, doch die melodischen Fragmente des Soloinstruments besitzen - durchaus ungewöhnlich für Morton Feldmans Schaffen - fast schon wieder tonale Qualitäten.

 

Ein weiterer Aspekt kommt in der Komposition „Igitur” von Michael Denhoff hinzu, denn das jüngste Werk des Profile-Programms entstand aus der Reflexion über ein literarisches Werk. Wie schon bei dem zwei Jahre älteren Zyklus, den Denhoff und das Pro Nova Ensemble im Februar 2000 in Duisburg vorstellten, stammt die Anregung von dem französischen Dichter Stéphane Mallarmé, dessen späte Werke durch eine immer knapper werdende Sprache und durch eine absichtsvolle Verrätselung des Sinnes gekennzeichnet sind. So trägt die Komposition „Igitur” den Untertitel „Lesart für Kammerensemble”.

Der Komponist Michael Denhoff schreibt über das Werk aus dem Jahr 1998: „Mallarmés Fragment gebliebene Erzählung ‚Igitur’ (oder der Wahn des Elbehnon), ein fast unentschlüsselbarer Text, der sich, wie Mallarmé selbst sagt‚an die Intelligenz des Lesers wendet, die selber die Dinge in Szene setzt’, beschäftigte mich erstmals während der Arbeit an meinem abendfüllenden ‚Mallarmé-Zyklus’ (1995/96), der sich in zwölf musikalischen Schritten der späten Wortpartitur ‚Un Coup de Dés’ zu nähern versuchte. Denn bereits im ‚Igitur’-Text taucht das Bild des Würfelwurfes auf, ein Akt, bei dem der Zufall im Spiel ist, der seine eigene Idee vollbringt. Es waren einige zentrale Signal-Wörter dieses Textes, der wie ein mentales Experiment in die Tiefen des menschlichen Geistes und des Bewußtseins hinabsteigt, die auf die musikalischen Gestalten der durch die Lektüre ausgelösten Musik einwirkten: die Mitternacht, das dubiose Pendeln einer Uhr, eine unendliche Spiralbewegung, die an Piranesi erinnernde Vision eines stufenförmig aufgebauten Geistes, der Nachhall und Widerschein abwesender Klänge, das vage Gedankenzittern, die Spiegelungen und Symmetrien des Traumes, … und bei meiner ‚Lesart’ des Textes ist es wieder die Zahl 12, die gestaltbildend ist, wenn etwa die drei Streicher in einer Skordatur der drei möglichen verminderten Akkorde eingestimmt sind, die als Echo nochmals in den 12 stumm niedergedrückten Tasten des Klaviers erscheinen. Diese Hinweise können und wollen aber nicht die Musik erklären, eine Musik, die sich an Hörer wendet, die selber die Klänge in Szene setzen.”

Wie bei Cage wird auch in „Igitur” der Raum kompositorisch einbezogen, indem die ‚klassische’ Klavierquartett-Besetzung auf der Bühne, das Bläser-Trio aber in weiteren Abständen voneinander getrennt hinter dem Publikum postiert ist.

 

© Michael Tegethoff

 

 

 

SEVEN – Septets from the 20th Century

 

Compositions for seven instruments are not frequently found in the history of music. While this constellation almost breaches the requirements of chamber music, it in no way meets the requirements of an orchestra. Unlike the string quartet, string trio or piano trio there is no standardised formation: each septet requires a new palette of instruments and the large number of instruments inhibits the use of instruments all from the same family. Septets typically have a mixed formation, generally with stringed and wind instruments mixed together. The first important contribution is doubtless Beethoven’s septet in E flat major, opus 20, written in 1799/1800. Beethoven’s septet inspired further compositions in the same or similar formations, for example Schubert’s octet. The Beethoven septet can be seen as a companion to the first symphony which was written at about the same time. This said, the division into six movements indicates the influence of the traditional serenade. Various influences, not solely from traditional chamber music, can be found in later septet compositions, as some exemplary compositions for seven instruments from the twentieth century show. Modern composers have not conformed to the traditional formation of strings and wind, but have added further instruments, typically piano or percussion. Furthermore, the compositions have been nurtured by influences from additional sources. Concertante influences are to be found in both the “Concertino” by Leoš Janáček and in “The Viola in My Life” by Morton Feldman. It is also noteworthy that the designation “septet” has often been purposely avoided. The american composer John Cage gave his composition for seven instruments the simple title “seven”, thereby setting an initial dissociation from classical tradition.

 

The “Concertino” by Leoš Janáček, composed in 1925, is the oldest work in this program. During a concert in honour of his sixtieth birthday Janáček heard the pianist Jan Herman and immediately created a composition with a weighty piano part. Apparently the principal themes came to the composers mind on the way home from his birthday concert and he attempted to continue the youthful exuberance of his sextet “Mládi”. The “Concertino” by Leoš Janáček is a piano concerto with a highly compressed orchestral accompaniment. The ‘orchestra’ manages with just six instruments and even then some instruments are silent in the first two movements. However, in his “Concertino”  Janáček uses a kind of concert dialogue, the great moravian music dramatist here showing through in this purely instrumental composition.

 

More than a quarter of a century later (1953) Igor Stravinsky wrote his piece with the simple title “Septet”. The composition for three wind instruments, piano and string trio was created in Beverly Hills and was first performed in Dumbarton Oaks in the US state Washington, D.C. Fifteen years earlier Stravinsky had written a concerto with the title “Dumbarton Oaks” and in the first movement there seems to be some affinity to the older work. But then the septet goes beyond “Dumbarton Oaks”, heralding Stravinskys later style. Noticeable are the allusions to baroque form, although with Stravinsky these are rendered in an extremely demanding manner: in the Passacaglia the fragments of the motif are spread over different instruments in the manner of Anton Webern followed by variations on the basis of the tonerow technique of Schönberg, Webern and Berg. The final gigue is a contrpunctal masterpiece

with no less than four fugue formations. Here the first and third fugues are allocated to the string trio while the second and fourth fugues are allocated to the wind trio plus piano, so that only in the four cadences do all instruments play together.

 

John Cage and Morton Feldman belong to the most important composers in the second half of the twentieth century. Cage, the elder of the two, studied with Arnold Schönberg and subsequently aroused interest with his compositions for prepared piano. Ramdomness played an important role in his work and moreover his music often progressed on the borderline to silence. Towards the end of his life, however, an important stylistic change emerged. Incorporated in the late work of John Cage are the “Number Pieces” from the years 1987 to 1992; these are often interspersed with silence and have a sparse sound structure possessing a beauty which can be described as mystic. One of the “Number Pieces” is “Seven” from the year 1988. At the Duisburg concert the musicians were grouped around the listeners so that the sounds measured both time and space.

 

Morton Feldman said when working on “The Viola in My Life”: “I write melodies, great melodies, Puccini!”. “The Viola in My Life” is a four-part cycle - a fifth part as finale remained uncompleted. The compositions were written for the viola player Karen Phillips and they give prominence to the viola. In the first piece the viola is accompanied by five other instruments, in the second piece by six. The third piece is a composition for viola and piano and the cycle ends with a regular viola concerto. The treatment of the instrument is completely different from that of Leoš Janáček: delicate dynamics blur the musical colouring but the melodic fragments of the solo instrument have almost tonal qualities - most unusual in the work of Morton Feldman.

 

A new aspect enters with the composition “Igitur” by Michael Denhoff, the youngest work in this programme, deriving from reflections on a literary work. As with a cycle composed a year earlier which Denhoff and the Pro Nova Ensemble presented in Duisburg in February 2000, the inspiration comes from the french poet Stéphane Mallarmé, whose later works are characterised by an increasingly brief language and an intentional mystification of the meaning. The composition “Igitur” carries the subtitle “Lesart für Kammerensemble” (“Version for Chamber Ensemble”).

The composer Michael Denhoff writes about the work from the year 1998:“Mallarmé’s story ‚Igitur’ (or the madnes of Elbehnon) is a fragment, a practically indescipherable text which, so says Mallarmé, ‘addresses the intellect of the reader who creates his own vision’. This first interested me during work on my evening-long “Mallarmé-Cycle” (1995/96), which attempts to interpret Mallarmés late manuscript ‘Un Coup de Dés’ using twelve musical progressions. For example, in the ‘Igitur’ text the vision of a throw of the dice emerges, an event involving randomness, creating its own picture. Several fundamental words in the text act like a mental experiment, descending into the depths of the human spirit and consciousness. These influenced the musical figures which emerged while I was reading the text: midnight, the uncanny rhythm of a pendulum clock, an infinite spiral, the idea of a spirit shaped in steps, reminiscent of Piranesi, the echo and reflection of absent sounds, vague vibrations of thoughts, reflections and symmetries of dreams, . . . and in my interpretation of the text the number 12 is repeatedly behind the form, for instance when the three string instruments are tuned in scordatura to the three possible diminished accords, which resound as echoes in 12 silently depressed keys of the piano. However, this information is not and cannot be an explanation of the music which addresses the listener as personal interpreter of the sounds.”

As with Cage, so also in “Igitur” space was incorporated into the composition, the “classical” piano quartet being placed on the stage whereby the wind trio was placed well spaced apart behind the listeners.

 

© Michael Tegethoff – (Translation: Martin Packham)

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