Beim Schreiben - Notate über das Schreiben
Von Michael Denhoff
mein Denken dreht sich um die eigene Achse, beschleunigt beängstigend seine immer gleichen Kreisbahnen und scheint doch an der eigenen Langsamkeit bis zum Stillstand zu ermüden –
ich verschließe mich in meinem Klangraum, gehe in seine Mitte, um das langsame Kreisen seiner wandernden Grenzen zu hören –
Klangprozesse: Klangahnung, Klangnäherung, Klangfindung, Klangentfesselung, Klangentrückung, Klangzersetzung, Klangerinnerung (vielleicht die Beschreibung einer möglichen Musik ... oder der eigentliche Vorgang beim Komponieren) –
der unvermeidliche Absturz aus dem Gedankenflug; der Boden der Realität: das weiße Papier (wie beruhigend, daß auf dem Notenpapier schon die Notenlinien stehen ... ) –
Die mit der Aufgabe des Schreibens sofort eintretende Schwerfälligkeit des Denkens... (Franz Kafka)
der Verzweiflungsgrad steigt mit wachsendem Bewußtsein, gottlob auch der Zustand der Ergriffenheit –
Zweifel und Sicherheit bei der Arbeit sind nicht der Kampf der Gegensätze, sondern die sich ergänzende Einheit des Schöpferischen: ich zweifele an mir, also bin ich –
sich in Klang, Farbe oder Wort auflösen, dieser Zustand wäre Glück –
Inspiration ist kein verbaler Vorgang und auch keine erzwingbare Befindlichkeit, sie ist das zufällige Auftauchen von noch ungeordneten Klängen auf der Netzhaut des inneren Ohres, auf der sich diese vagen Gebilde im Zustand gesteigerter Wachheit einbrennen können –
fortspinnen kann man nur das, was eine Eigendynamik hat –
und immer wieder zögern, innehalten, nachhören, von Neuem tastend das Entlegene suchen –
Form ist nur ein Vehikel, gedankliche Zusammenhänge in eine Ordnung zu bringen; auch assoziatives und vegetatives Schreiben hat eine übergreifende Ordnung, die durch die Besonderheit des schöpferischen Wesens bedingt ist –
die Einfälle ändern ihre Physiognomie, sobald man ihnen Gestalt zu geben versucht –
die abstrakte Intelligenz des künstlerischen Arbeitsprozesses: es schreibt, nicht ich schreibe –
Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen. (Theodor W. Adorno)
Kunst ist stets das Unvorhersehbare, sie überwindet die Grenzen des Denkens, sie befreit von den Zwängen des Alltäglichen, als Gegenentwurf zur Wirklichkeit hat sie ihren eigenen realen Körper –
Kunst sollte das Leben nicht harmonisieren, sondern irritieren, denn erst der irritierte Geist lebt, weil er offener und tiefer zu sehen, hören, fühlen vermag –
nur tote Fische schwimmen mit dem Strom –
vielleicht bekennt man gerade dadurch seine Zeitgenossenschaft, indem man sich gegen den Zeitgeist verhält, also Unzeitiges denkt und formuliert –
mein Begriff von Ästhetik ist untrennbar mit der Frage nach Ethik verknüpft –
Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch Kunst. (Johann Wolfgang von Goethe)
Kunst zeigt das Wesen unserer Existenz, erinnert an sie und ist somit lebensnotwendig –
auch die Zerrissenheit muß, wenn sie sich künstlerisch artikuliert, ihre Sprache, ein Vokabular finden –
jeder Versuch der musikalischen Rede trägt immer auch den Hauch des Scheiterns in sich –
ein Kunstbegriff ist keine Ideologie –
die größte Provokation ist nicht selten die künstlerische Ernsthaftigkeit –
Kunst muß, will sie weiterfragen, sich zunächst selbst in Frage stellen –
Nichts geht den Dingen vorauf. Weder Gestalt noch Idee, weder Grund noch Notwendigkeit zu sein und so oder so zu sein u.s.w. Alles folgt erst auf die Existenz. (Giacomo Leopardi)
die zeitlichen Dimensionen und der dramaturgische Verlauf von erklingender Musik bündeln sich nach dem Hören fokussierend zum Gesamteindruck, der alle akustischen wie emotionalen Parameter des vorher real Erklungenen wie einen imaginären Punkt von höchstem Dichtegrad im Innern des Hörers abbildet –
Nachhören heißt Weiterschwingen, die Intensität der Wahrnehmung und des Erlebens in eine andere Dimension steigern –
nicht die Musik muß auf den Zuhörer zugehen, sondern der Zuhörer auf die Klänge, nicht das Wort auf den Leser, sondern der Leser auf den Text, nicht das Bild auf den Betrachter, sondern der Betrachter auf das Kunstwerk –
Hören heißt schon gehört haben, Lesen schon gelesen haben, Sehen schon gesehen haben. Verstehen heißt schon verstanden haben –
das eigentliche Wesen der Musik, ihre unbegreifliche Wirkung, ihr Ein-Druck auf den Hörer bleibt (glücklicherweise) stets ein Geheimnis, dem wir mit der gesprochenen Sprache nur auf der Spur sein können –
Musik als sinnlicher Zustand von Zeit ist das Heraustreten aus ihr in die Zeitenthobenheit klingenden Vibrierens der Empfindungen –
Das klarste Anzeichen für Wirkliches ist vielleicht die Unmöglichkeit zu verstehen; - zu erraten, wie es weitergeht -; zu umgrenzen. Die 'Wirklichkeit' - das, was in unbegrenzt viele Rollen, Deutungen, Sichtweisen schlüpfen kann. (Paul Valéry)
vielleicht das Geheimnis aller schöpferischen Energien: ein Ziel vor Augen, aber es nie vollends erreichen, nur parabelförmige Annäherung –
die eigenen Grenzen kennen, um sie überschreiten zu können –
mit jedem neuen Stück gegen das vorherige anschreiben; warum nicht den Versuch unternehmen, mit jeder Note die vorherige zu widerlegen? –
die Erotik der Gegensätze –
Diskontinuität als Molekül einer übergreifenden Kontinuität –
je länger ich in eine Sache vertieft bin, um so mehr verliere ich mich bis hin zur eigenen Unkenntlichkeit, und doch bin ich gleichzeitig so sehr ich selbst, wie sonst nie –
der Rauschzustand bei der Arbeit, wenn die Gedanken der Geschwindigkeit des Schreibvorganges weit vorauseilen –
Ton für Ton, Klang für Klang, Stück für Stück, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Satz für Satz entsteht mein eigenes Portrait; das nicht Aufgezeichnete, das Verschwiegene, das nicht Sagbare formt dabei die Konturen des Ausdrucks –
wenn man schreibt, haftet dieser Tätigkeit der Charakter einer Autopsie an –
der Protokollcharakter von Musik, Bild und Text –
Emotion und Intellekt sind die Extreme, zwischen denen das Schreiben die Waage zu halten versucht, dabei aber in einer gewissen Regelmäßigkeit in die eine oder andere Richtung abzustürzen droht –
Komponieren, die stete Möglichkeit des Scheiterns bei der Präzisierung einer Idee; die gedachte Musik ist wahrer als das, was durch den Widerstand der schreibenden Hand als Klang davon letztlich übrigbleibt; insofern ist all meine Musik Fragment, nur "hörbarer Rest" (P. Celan) –
das, was im inneren Ohr einer außerzeitlichen Syntax gehorcht, gilt es möglichst genau in klingende Sprache zu übersetzen: die endlose Suche nach einem zeitlichen Gefäß –
mein Ziel: Klarheit im Komplizierten –
es gibt keine wie auch immer geartete Verbindlichkeit der musikalischen Rede, die Sprache muß sich in jedem Moment des Redens selbst erneuern –
Musik stünde zwischen Sprache und Gedanke. (Robert Schumann)
(© 1991, revidiert 2009)
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