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Ein langer Weg ...

 

Als vor nunmehr etwa drei Jahren der „Gesprächskreis zu Fragen von Kirche und Musik“ an mich herantrat mit der Anfrage, ob ich zur Verfügung stehen könnte, eine Credo-Komposition zu schreiben, habe ich nach anfänglichem Zögern doch ziemlich schnell und spontan zugesagt, auch, weil ich es als eine persönliche Herausforderung für mich betrachtete.

Bisher bin ich zwar nicht als Kirchenmusik-Komponist „auffällig“ geworden, aber es gibt immerhin ein Orgelstück aus dem Jahr 1984, welches sich auf den lutherischen Choral „Aus tiefer Not“ bezieht. Aber ansonsten gibt es keine Musik von mir, die biblische Texte nutzt oder sonst irgendwie konkret für den Kirchenraum bestimmt ist.

Ja, es ist sogar so, daß ich lange Zeit Schwierigkeiten hatte, überhaupt das Wort in meine Musik einzubeziehen, Texte, welcher Art auch immer, zu vertonen. Es liegt wohl daran, daß das, was mir damals als noch junger Komponist vorschwebte, sich für mich nicht mit den Mitteln der Stimme darstellen ließ. So bin ich eigentlich erst recht spät zur Vokalmusik, zum vertonten oder gesungenen Wort gekommen, wenngleich Texte und überhaupt die Bezugnahme zur Literatur seit vielen Jahren eine sehr wichtige Rolle in meiner Musik spielen.

Die Auseinandersetzung mit Werken der Literatur hat auf vielfältige Art und Weise mein eigenes kompositorisches Denken beeinflußt und geprägt. An dieser Stelle möchte ich nur die drei mir wichtigsten Autoren nennen, die deutliche Spuren in meiner eigenen Arbeit hinterlassen haben. Das ist zum einen Paul Celan, dessen dichterisches Werk mich immer wieder angezogen hat. Aus der intensiven Beschäftigung mit seinen Gedichten, deren nur scheinbar hermetische Sprache immer wieder das Schweigen und das Scheitern thematisieren, sind mehrere Stücke entstanden. Zuallererst muß ich hier wohl den großen abendfüllenden Klavierzyklus ATEMWENDE erwähnen, der sozusagen aus sieben Fantasien besteht, die jeweils eines der Gedichte der gleichnamigen Sammlung von Celan zum Vorwurf nehmen und den Versuch unternehmen, sich dem dort Zur-Sprache-Kommenden mit klanglichen Mitteln zu nähern. Dies war auch ein ganz persönlicher Weg einer möglichen Deutung. Zum anderen ist es Samuel Beckett, dessen späte Prosatexte – und da vor allem „Worstward Ho“ – einen umfangreicheren Werkblock evoziert haben. Und nicht zuletzt Stéphane Mallarmé ist es, der in jüngerer Zeit im Mittelpunkt meines Interesses stand.

In all diesen Werken erscheint das Wort aber nicht vertont, es ist stattdessen die gedankliche Folie, auf der die Klänge zu wachsen begannen. Das mit-gedachte Wort machte das eigene Klingen möglich und führte mich so zu bis dahin un-gedachten und un-gehörten Möglichkeiten der musikalischen Rede.

In meinem bisher wohl wichtigsten Kammermusikwerk, den tagebuchartigen Aufzeichnungen HAUPTWEG UND NEBENWEGE op. 83 für Streichquartett und Klavier, einem knapp dreistündigen Werk aus dem Jahre 1998, gibt es eine geradezu labyrinthisch verschlungene literarische Ebene: in der Partitur findet sich eine Vielzahl literarischer Zitate von Hölderlin über Novalis, Trakl, Kafka usw. bis hin zu Ungaretti, Bachmann und auch noch lebenden Autoren, wie etwa dem Autisten Birger Sellin. Doch diese Texte sind nur für die ausführenden Musiker zwischen die Noten geschrieben, auf die sie einwirkten, sie bleiben also dem Zuhörer verborgen, wenn er nicht die Partitur zur Hand nimmt. Nur in einem der zwölf Teile brechen sie heraus, werden von den Musikern zur klingenden Musik deklamiert. Aber eben auch dort, wo dies nicht geschieht, sind diese Texte für mich latent präsent.

 

Doch soll hier nicht weiter von anderen Stücken die Rede sein. Ich habe diesen besonderen Bezug vieler meiner Werke zur Literatur nur deshalb erwähnt, weil in dem Moment, wo mit dem Auftrag zur Credo-Komposition die Frage im Raum stand „wie kann ein Komponist heute mit dem Credo-Text umgehen?“, für mich sofort, eigentlich gleich im allerersten Moment des konkreteren Nachdenkens, klar war, daß ich Texte finden mußte, die diesen alten Text bespiegeln, hinterfragen, in irgendeiner Weise mit ihm korrespondieren, ihm aus heutiger Sicht neue Aktualität geben.

 

Es wurde für mich ein langer Weg der Suche nach dafür geeigneter Literatur.

Aber auch als eine Textzusammenstellung gelungen schien, gestaltete sich die kompositorische Arbeit nicht zügig. Zahllose Skizzen und Entwürfe waren notwendig, dabei wurden Vieles wieder verworfen, ja sogar Zweifel, ob ich der gestellten Aufgabe überhaupt gewachsen sei, stellten sich ein.

Erst im Herbst des Jahres 2002 schien ein gangbarer Weg gefunden. Zurückgezogen in eine private Arbeitsklausur nach Paris gelang es mir dort, aus den schon vorhandenen Notizen und Skizzen mehr als nur weitere Entwürfe abzuleiten. Innerhalb nur weniger Tage konnte ich – abgeschirmt von alltäglichen Ablenkungen – die ersten vier Teile (von zwölfen, die geplant waren) in kompletter Partitur ausarbeiten. Und nun konkretisierte sich im Kopf auch das, was mir für die anderen Teile bisher nur recht vage vorgeschwebt hatte.

Anfang 2003 war dann die gesamte Partitur fertig.

Noch während der Arbeit an IN UNUM DEUM tauchte bei mir der Gedanke auf, nach Fertigstellung der Partitur zudem eine reine a-cappella Fassung für Chor zu schreiben, die nur den lateinischen Credo-Text nutzt. Dieses CREDO – ich schrieb es dann tatsächlich direkt im Anschluß an IN UNUM DEUM – ist zwar in Vielem mit dem großen „Geschwister-Werk“ verwandt, aber doch sehe ich es als ein völlig selbständiges Chorstück.

 

Die Uraufführung von IN UNUM DEUM fand Ende Mai 2003 in Berlin im Rahmen des 1. Ökumenischen Kirchentages statt.

Eine weitere Aufführung gab es während des dreitägigen Kolloquiums „Kirchenmusik im 20. Jahrhundert – Erbe und Auftrag“ in der Bonner Münster-Basilika am 21. November 2003. Interpreten waren, wie in Berlin, die Solisten Irene Kurka (Sopran), Alban Lenzen (Bariton), der Chor der Aachener Hochschule für Kirchenmusik und das Orchester der Kölner Kammermusiker. Die überaus kompetente und engagierte Leitung hatte Steffen Schreyer.

 

Vor der Aufführung in Bonn hatte ich die Gelegenheit, den Kolloquiumsteilnehmern im Rahmen einer Einführungs-Veranstaltung das Werk vorzustellen. Dieses tat ich – wie ich es eigentlich immer tue, wenn ich vor einem Publikum über meine Musik spreche – ohne einen schriftlich fixierten Text in freier Rede.

Für die Dokumentation des Bonner Kolloquiums möchte ich an dieser Stelle aber auf eine notwendigerweise zu glättende Textfassung des freien Vortrages verzichten und stattdessen nun das anfügen, was Joachim Herten über meine beiden Credo-Kompositionen für das Booklet der bevorstehenden Veröffentlichung beider Werke auf CD geschrieben hat.

Wie kaum ein anderer hat er schon während der Arbeit an den beiden Kompositionen den Prozeß des Werdens begleitet. In vielen Telefonaten hat er als „Spiritus rector“ des „Gesprächskreises“ mit dezenter Hartnäckigkeit regelmäßig nach dem Fortgang der Arbeit gefragt, aber darüber hinaus auch aus ganz privatem Interesse in Gesprächen mit mir über die grundsätzlichen Vorüberlegung solch einer Aufgabenstellung gesprochen. Zudem hat er, wo sich die Möglichkeit dazu bot, bei Konzerten und Workshops, sich noch eingehender informiert über das, was mich ganz allgemein als Komponist interessiert und beschäftigt. So findet sich in seinem Text Vieles wieder, was im Umfeld der beiden Kompositionen gedanklich ausgetauscht wurde.

Und seine Auseinandersetzung mit diesen beiden Credo-Kompositionen hat den Vorteil einer etwas distanziert–objektiveren Sicht auf die Musik, wie sie mir als Komponist zwangsläufig nicht möglich wäre.

 

Bonn, im Februar 2004

 

© Michael Denhoff

 

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