DIALOGE

meine Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern

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I.

 

Kunst, welcher Art auch immer, ist Reaktion. Ein Kunstwerk reagiert immer auf etwas, was schon da ist, denkt es weiter oder widerspricht, knüpft an oder bricht, entsteht allein durch das, was das vor ihm Gewesene ausgelöst hat. Und es wird schließlich selbst ein Glied jener unendlichen Kette, deren einzelne Glieder sowohl mit der Vergangenheit verknüpft sind, weil sie auf diese reagieren und anschließen, als auch in die Zukunft gerichtet sind, da sie selbst wieder zum Auslöser von Reaktion werden. Somit ist das Kunstwerk der Schnittpunkt, in dem Vergangenheit und Zukunft als Gegenwart immer wieder von Neuem sichtbar, hörbar, erlebbar gemacht werden.

 

II.

 

Musik dehnt sich mit ihrer akustischen Gestalt in die Zeit.

Ein Bild dehnt sich mit seiner äußerlichen Materialität in die Fläche.

Eine Skulptur akzentuiert den sie umgebenden Raum, wie Töne und Klänge die Luft in Schwingung setzen. Und während Musik sich dabei mit ihrer akustischen Gestalt in den Raum stellt und diesen einnimmt, so greift eine Skulptur mit ihrer körperlichen Gestalt in den Raum ein, in den sie hineingestellt ist.

Eine Skulptur zeigt sich dem Betrachter, bedingt durch ihre dreidimensionale Ausdehnung, nie in ihrer räumlichen Ganzheit. Sie entsteht als Ganzes nur im Kopf, nachdem sie von allen Seiten her betrachtet wurde.

Klänge können die Zeit, in die sie sich ausdehnen und in die sie hineingestellt sind, zwar gleichzeitig aufheben, kraft dessen, wie sie dieser Zeit Gestalt geben, dennoch kann der Hörer ein Musikstück ebenfalls nie als Ganzes in einem Moment erfassen. Nur die Erinnerung hilft ihm, das Gehörte im Nachhinein als eine Einheit zu begreifen.

Auch das Bild vermag mit seinen Farben und Formen die Fläche aufzulösen. Durch das Bild scheint etwas hindurch, es öffnet sich in den Raum. Es ist eine Tiefe von Innen heraus, die für den Betrachter ihren Ausgang von der Bildfläche her nimmt. Ebenso ist bei Musik die akustische Oberfläche für den Zuhörer nur das Tor, durch das sich der Klangraum weitet in die endlosen Tiefen seiner Empfindungen und Erinnerungen, die durch die Klänge erweckt wurden.

 

Wenn wir uns als Betrachter oder als Zuhörer öffnen, öffnen sich auch die Musik und das Bild, und es beginnt alles in uns die Körperlichkeit dessen anzunehmen, dem wir uns hörend oder sehend zu nähern versuchen.  

Während wir uns in Bilder vertiefen oder Musik hörend selber zu klingen beginnen, erleben wir eine emotionale Intensität, die uns die eigene unentrinnbare Vergänglichkeit für einen Moment vergessen läßt, weil  d i e  Sinne aktiviert sind, die die verborgensten und gleichzeitig wesenseigensten Schichten des Inneren berühren.

Dies ist das Faszinierende an Kunst ganz allgemein: in der Begegnung mit ihr begegnen wir uns selber auf eine ganz unbekannte und neue Art. Das, was Töne oder Farben bewirken, das, was hinter dem Sichtbaren und Hörbaren von ihnen ausgeht, ist das Einende.

 

Es gibt also eine innere Wesensverwandtschaft zwischen Musik und Bildender Kunst: beide können Zeit und Raum ‚auf den Kopf’ stellen und sind doch in ihrer effektiven Gestalt an Raum, Zeit und Fläche gebunden.

 

III.

 

Nichts geschieht voraussetzungslos: Ursache und Wirkung bedingen sich gegenseitig. Was ein-wirkt hat Aus-Wirkungen und das, was aus-gedrückt werden will, hat seinen Ursprung in dem, was Ein-Druck gemacht hat.

 

Was aber geschieht, wenn Musik auf ein Bild oder eine Skulptur reagiert, oder umgekehrt, wenn das Bild oder die Skulptur Gestalt gewordenes Reagieren auf Musik sind?

So vielgestaltig die Wechsel-Wirkungen zwischen beiden Künsten sind, so unterschiedlich ist auch das, was bei der Transposition in das jeweils andere Medium stattfindet. Die Art der gegenseitigen Befruchtung hängt allein von der ganz individuellen Befindlichkeit des Betreffenden ab, der etwas in einer anderen Artikulationsform schon Vorhandenes in eine neue Materialität ‚übersetzt’.

 

Der Impuls, der bei meinen frühen von Malerei inspirierten Stücken zunächst von den Bildern von Chagall, Kandinsky, Klee und Feininger – um nur einige zu nennen - ausging, war vor allem einer, den ich als den Versuch dieser Art von Transposition und Analogie der gesehenen und erlebten Farben in Klänge von entsprechender Farbigkeit bezeichnen möchte. Dies war ein ganz subjektiver Vorgang, der für mich allerdings von in sich zwingender Logik und Konsequenz war, denn es waren tatsächlich die Klänge, die sich sofort und intuitiv einstellten.

Später wandte ich mich den Kupferstichen von Dürer und den Aquatinta-Radierungen von Goya zu, auch, um diese „Sackgasse“ (wie ich es nach und nach immer mehr empfand) des „Farben-Hörens“ zu verlassen. Bei der intensiveren Beschäftigung lösten sie eine neue, bis dahin nicht gekannte, geradezu schockhafte Wirkung im eigenen Erkennen und Begreifen aus. Hier gab es keine Farbe zu ‚übersetzen’: hier galt es, das Dargestellte in seiner Inhaltlichkeit zu erfassen und das dadurch bei mir Ausgelöste neu in Form und klingende Gestalt zu gießen. Für mich war dies wie eine Befreiung aus der synästhetischen Einengung. Diese neue Erfahrung, die vor allem von den düsteren und zeitlos zeitkritischen Radierungen von Goya ausging, hat mein kompositorisches Denken nachhaltig geprägt und verändert.

 

Mittlerweile hat meine besondere Affinität zur bildenden Kunst aber noch andere und weiterführende Erfahrungen mit sich gebracht.

Zum einen entstanden inzwischen mehrfach Bilder und Skulpturen von meist befreundeten Malern und Bildhauern zu meiner Musik, wobei das Reagieren und auch die Art der bildnerischen Ergebnisse so vielgestaltig waren, wie die Zahl der beteiligten Künstler.

Zum anderen habe auch ich selbst für mich neue Wege des Dialogs zwischen den beiden Disziplinen gefunden.

 

Erdmuthe Scherzer "Bassflöte I"

Erdmuthe Scherzer "Bassflöte V"

Erdmuthe Scherzer, „Bassflöte I“

(zu: „Poco a poco - Monolog III“)

Erdmuthe Scherzer, „Bassflöte V“

(zu: „Poco a poco - Monolog III“)

 

1996 arbeitete die in Linz (Österreich) lebende Malerin Erdmuthe Scherzer ein Jahr lang zu meinem abendfüllenden, fünfteiligen Zyklus „Monologe“. Ähnlich, wie sie es zuvor schon bei ihrer Zusammenarbeit mit anderen Musikern praktiziert hatte, wählte sie eine besondere Arbeitsweise: sie arbeitete nicht mit oder bei Musik, sondern mit Musikern.

Ihr geht es nicht darum, die Musik analytisch oder nur emotional zu durchleuchten und in der Transformation in ihre „Sprache“ so zu ihren Farben und Formen zu finden. Sie nähert sich der Musik wie ein Instrumentalist und zusammen mit dem Musiker, der sich den Notentext aneignet (zu seiner eigenen Sache macht), indem er ihn erlernt beim Einstudieren, immer wiederholend, verschiedene Möglichkeiten probierend, erst nach und nach das Ganze erfassend. Ihr geht es nicht um die endgültige Interpretation, sondern um das ganz körperliche Herantasten an die Töne und Klänge und an das, was sie auslösen und in Bewegung setzen. Dies ist ein ganz individuelles und sehr sinnliches Ereignis: die Ohren beginnen  zu sehen und die Augen zu hören. Alle Nervenenden sind auf Empfang gerichtet. Wie ein Seismograph reagiert sie auf die Art und Weise, wie der Musiker die im Notenbild stumme Musik zum Klingen bringt und ihr damit Bedeutung zuweist, die auch mitgezeichnet und -geprägt ist von seiner eigenen Persönlichkeit.

So entstand eine ganz eigene Rhythmik im Malduktus und es gab verschiedene Stadien des Sich-Näherns und Reagierens in Gestalt von mehreren Bildern zur gleichen Musik.

 

Hans Werner Berretz "Verblühtes Geräusch"

Hans Werner Berretz

„Verblühtes Geräusch“

(zu: „Hauptweg und Nebenwege“)

 

Der Maler Ha Webe (Hans Werner Berretz) kannte bereits viele Stücke von mir, bevor wir uns erstmals begegneten. Er fühlte eine tiefere Verwandtschaft in dem, was unser jeweiliges künstlerisches Anliegen ist.

So gibt es bei ihm meist kein ganz direktes, auf ein bestimmtes Stück bezogenes Reagieren, sondern vielmehr eine generelle ‚Temperatur’, die ihm durch meine Musik für die eigene Arbeit zufloß.

Als ich 1998 mein bisheriges ‚opus magnum’ schrieb, die tagebuchartigen Aufzeichnungen „Hauptweg und Nebenwege“, ein fast dreistündiges Stück für Streichquartett und Klavier, begann er quasi auf einer Art ‚Parallelspur’ seinen bildnerischen Zyklus „Verblühtes Geräusch“. Monatlich bekam er von mir die jeweils neuen Abschnitte meiner Partitur, die er sich lesend zu einem inneren Klang zu imaginieren suchte.

Abseits platter Illustration des Gehörten und fernab banaler Analogie leuchten die daraufhin entstandenen Bilder und Objekte von Innen heraus. Der Bildraum vibriert durch die feinen Schwingungen, die die auslösende Musik in Bewegung gesetzt hat. Diese Bilder bilden die Musik nicht ab, sie sind auf sehr sinnliche Art und Weise selbst Musik. Wie in einem zusammenfassenden Akkord klingt in ihnen alles nach, was den Tönen und Klängen an Bedeutung eingeschrieben ist. Nicht die akustische Oberfläche der Musik, sondern das, was hinter ihr liegt und das eigentliche Geheimnis von Musik ausmacht, erscheint in neue Zusammenhänge gesetzt und transformiert im Bild. Für den Betrachter eröffnen sich neue Dimensionen sinnlicher Wahrnehmung: das Bild verschweigt die Musik und doch klingt im Bild aus tiefen Fernen eingefangen, was dem hörenden Maler von den Klängen und Tönen der Musik an Energie und Ausdruck zugeflossen ist. Es ist  nicht allein das Phänomen der Synästhesie, sondern vielmehr eine besondere Form des subtilen Gespürs für übergreifende Zusammenhänge von Ton und Farbe und damit eine besondere Form von Verständnis und Wirkung, die in den Bildern von Hans Werner Berretz erfahrbar wird. Denken und Empfinden verschmelzen. Und in der Symbiose entsteht ein bildnerisches Universum von enigmatischer Weite, die das Trennende von Bild und Musik zu überwinden scheint und die Grenzen aufzuheben vermag.

 

Ingeborg Ullrich "Installation Klangbriefe"

Ingeborg Ullrich,

„Installation Klangbriefe“

(zu: „13 Klangbriefe“ aus „Hebdomadaire“)

 

Ingeborg Ullrich, eine von insgesamt zwölf beteiligten Künstlern, die 1997 im Bonner Künstlerforum Werke ausstellten, die alle ihren Impuls aus der Beschäftigung mit den „Klangbriefen“ aus meinem Klavierzyklus „Hebdomadaire“ bezogen, fand zu einer für mich besonders faszinierenden und poetischen Form bildnerischen Weiterdenkens.

Jedes Notenblatt der 13 Klaviertücke bearbeitete sie einzeln zu eigenen Briefobjekten mit diversen Spuren von Faltungen und eigenen geheimnisvollen Schriftzeichen, die den ursprünglichen Notentext größtenteils nur noch schemenhaft durchschimmern ließen und ihn auf seinen rein graphischen Aspekt reduzierten; nur einzelne kleine optische Fenster ließen einzelne Tongruppen oder Takte fast unbearbeitet hervortreten. An dünnen Fäden hingen diese Blätter freischwebend in Reihen auf Augenhöhe im Raum, langsam schwingend und sich drehend wie ein Traum-Mobile, das fließend immer neue Konstellationen optischer Zusammenhänge aus sich selbst heraus entwarf, und das in scheinbar erstarrter Konfiguration sein dialektisches Pendant auf dem Boden warf, wo andere Briefobjekte wie zufällig und ungeordnet übereinanderlagen.

Das Auge durchwandert zwei Zustände: den Augenblick und die verstreichende Zeit.

Es ist ja genau das, was Hören ausmacht: die Gleichzeitigkeit des im Moment Erklingenden mit dem schon Erklungenen im Raum der Erinnerung, die zusammen erst das noch Kommende möglich machen.

Zudem hat Ingeborg Ullrich mit dieser bildnerischen Konzeption meine kompositorische Idee weitergedacht, denn die 13 Klangbriefe nutzen einen kleinen aber typischen musikalischen Baustein eines Komponisten (Bach, Schubert, Schumann, Skrjabin, Janáček, Feldman, usw.) der Vergangenheit und entwickeln daher ihre Energie speisend die jeweils eigene neue Sprachlichkeit. Das „Fenster“ in die Vergangenheit wird gleichzeitig ein „Fenster“ zum eigenen Jetzt und öffnet es damit in eine unbestimmte, noch offene Zukunft.

 

Walter Wittek "Vergessene Glut"     Walter Wittek "Vergessene Glut" (Detail)

Walter Wittek,

„Vergessene Glut“  (Details)

(mit: „Vergessene Glut“ für Schlagzeug)

 

Mit dem Bildhauer Walter Wittek, der 1991 für den Marktplatz der westfälischen Kleinstadt Vreden eine „Kunstaktion“ plante, gab es eine Zusammenarbeit, die insofern für mich als beteiligtem Komponisten ungewöhnlich war, als er mir das, was dort geschehen sollte, in seinem ungefähren zeitlichen Ablauf nur mit Worten beschrieb und ich daraufhin eine Musik für einen Schlagzeuger („Vergessene Glut“) entwarf, die während dieser Aktion erklingen sollte. Beides traf also - unabhängig voneinander konzipiert - erstmals aufeinander im Moment der gemeinsamen „Aufführung“. Die Unberechenbarkeiten und Zufälligkeiten des „szenischen“ wie „musikalischen“ Ablaufes begannen also erst in diesem Moment sich gegenseitig zu kommentieren und miteinander zu dialogisieren, es entstand eine sich selbst multiplizierende Spannung rituellen Charakters.

 

Wolfgang Ueberhorst "Skulptur" (Schlafende Muse)   Wolfgang Ueberhorst "Skulptur"    Wolfgang Ueberhorst "Skulptur"

Wolfgang Ueberhorst

„Skulpturen“

(Dialog mit: „Skulpturen I - III“ für Klavier)

 

Seit 1996 führe ich mit dem Bildhauer Wolfgang Ueberhorst ein „Gespräch“ in unser jeweils eigenen Disziplin; als noch offenes Projekt ist es auf mehrere Jahre hin angelegt. Er hatte eine Bronze-Skulptur entworfen, auf die ich mit einem Klavierstück klanglich-musikalisch reagierte. Er antwortete nun wiederum seinerseits auf dieses Klavierstück („Skulptur I“) mit einer weiteren Bronze-Skulptur, welche mich zum nächsten Stück („Skulptur II“) anregte u.s.w. ...

Verabredete „Spielregel” ist es dabei, sich die Titel (und ggf. Untertitel) der bildhauerischen wie musikalischen Werke nicht gegenseitig bekanntzugeben. Das neue Gestalt annehmende  Reagieren und Deuten geschieht ohne miteinander über die gedanklichen Hintergründe der eigenen Interpretation und damit die Überlegungen bei der Arbeit an der jeweiligen „Antwort“ zu sprechen: nur das Gesehene und das Gehörte bestimmt die Dynamik dieses Prozesses.

Das für uns beide so Spannende bei dieser besonderen Form des Sich-Austauschens ist, das Gefühl zu haben, dabei zu klanglichen und bildhauerischen Lösungen zu kommen, formal wie inhaltlich, die ohne diese nonverbale Form eines „Gespräches“ nicht möglich gewesen wären. So sind beispielsweise meine bisher drei Klavier-Skulpturen allesamt bestimmt von einer ‚Körperlichkeit’, die in anderen Werken nicht so stark ausgeprägt ist: die Bewegungen des Interpreten während des Spiels – nur durch die musikalische Textur bedingt – werden selbst zum immanent wichtiger Bestandteil des jeweiligen Stückes. Die Aufführung der „Skulpturen“ wird selbst zum Akt räumlichen wie skulpturalen Denkens. Es entstehen weit über das nur Sichtbare und Hörbare hinaus übergreifende geistige Zusammenhänge, die nichts mehr mit rein formalen Entsprechungen oder empfundenen Analogien zu tun haben. Die jeweiligen „Antworten“ sind sowohl nachdenkendes Reagieren als auch weiterführendes Ergründen dessen, was das Einende und gleichzeitig Trennende von Musik und bildender Kunst ist, etwas, das sich eben vielleicht nicht genauer und richtiger als in dieser Form benennen läßt.

 

© 2003 Michael Denhoff

 

 

siehe auch:

Vom Bild-Klang zum Klang-Bild

Musik zu Bildern / Bilder zur Musik

 

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